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"Skeleton Crew" am Off Broadway in New York
Letzter Teil der Detroit-Trilogie von Dominique Morisseau

Die schwarze Dramatikerin Dominique Morisseau schreibt dagegen an, dass in den USA afro-amerikanische Schauspieler in Film, Fernsehen und Theater oft nur als Drogenabhängige, harte Schlägertypen, Musiker oder Spaßvögel besetzt werden. Ihre Stücke handeln von ihrer Heimatstadt Detroit. Mit dem am Atlantic Theater in New York uraufgeführten Stück "Skeleton Crew" beendet sie ihre Detroit-Trilogie.

Von Andreas Robertz | 27.01.2016
    Dominique Morisseaus Stück "Skeleton Crew" spielt in den späten 80er-Jahren in Detroit. Kurzarbeit, Automatisierung und Stilllegungen sind Alltag in der einst so reichen Stadt. Vier schwarze Arbeiter kämpfen um ihre Existenz, als das Management droht, ihre Fabrik zu schließen.
    Der Aufenthaltsraum, den Bühnenbildner Michael Carnahans für die Inszenierung geschaffen hat, trifft genau die richtige Mischung aus hässlich heruntergekommen und warm-vertraut: verbeulte Kleiderspinde, das Mobiliar wild zusammengewürfelt, eine schmutzige Kaffeemaschine, ein schwarzes Brett und eine Stechuhr - Farbe blättert von den Wänden. Durch alte Verbundglasfenster kann man die Maschinerie der Fließbänder sehen, und dumpfe Stampfgeräusche begleiten die Szenen wie das Schlagen eines eisernen Herzes. Die raue, mit allen Wassern gewaschene Faye ist die Älteste der Belegschaft und Gewerkschaftssprecherin. Doch der Gewerkschaft geht es schon lange nicht mehr darum, das Schließen von Fabriken zu verhindern, sondern darum, ihren Mitgliedern eine möglichst faire Abfindung zu erkämpfen. Reggie hat es gerade noch geschafft, zum Vorarbeiter aufzusteigen. Doch die Werksleitung benutzt ihn, um Arbeiter auszusuchen, die vorzeitig gekündigt werden sollen. Ein Kandidat ist der junge rebellische Dez, der versucht sich im Zwielicht der Legalität eine zweite Existenz aufzubauen. Und da ist noch die schwangere Shanita, die so gerne mit Dez flirtet und für die die Fabrik mit ihren Fließbändern, ihren geordneten Arbeitsabläufen und dem gleichmäßigen Takt ihrer Maschinen der schönste Ort der Welt ist. Als sie einen Job in einem Kopierladen ablehnt, weil sie in der Fabrik bleiben will, drängt Faye hinter dem Rücken der Belegschaft Reggie dazu zu kämpfen, dass sie nicht frühzeitig entlassen wird.
    "Skeleton Crew", was man sowohl mit "Stammbelegung" als auch mit "Notbesetzung" übersetzen kann, handelt von Menschen, die ums Überleben kämpfen. Und für Autorin Dominique Morisseau ist das die Geschichte der Schwarzen in den USA, in der Rassismus und Kapitalismus von Anfang an eng miteinander verknüpft sind. Dabei zeigt sie warmherzige und vielschichtige Charaktere jenseits der üblichen Klischees. Die grobschlächtige lesbische Faye, so erfährt man, hat den Tod ihrer Partnerin nicht verkraftet, ihr Haus verspielt und lebt seit Monaten in ihrem Auto. Dez, der heimlich eine Waffe mit sich trägt, leidet unter der Brutalität seines Alltags, und die naiv erscheinende Shanita hat keinen Mann für ihr Kind und versucht, als junge Frau nicht unterzugehen: Wundervoll ist ihr wütender Monolog über die Unfähigkeit von Autofahrern, sich im Verkehr fließend einzuordnen. Auch hinter der arroganten Selbstgerechtigkeit von Vorarbeiter Reggie verbirgt sich die blanke Angst, das frisch bezogene Haus wieder zu verlieren. Regisseur Ruben Santiago-Hudson und sein großartiges Ensemble - allen voran Lynda Gravatt als Faye - finden die feinen Zwischentöne, die aus Figuren reale Menschen voller Humor, Angst und Hoffnung machen. Weil Faye freiwillig vorzeitig in Rente geht, muss Reggie am Ende niemanden denunzieren, und Dez und Shanita können vorerst bleiben. Doch Faye weiß, dass sie nur die Erste ist, die gehen wird.
    Dramatikerin Dominique Morisseau gehört dem Magazin "American Theatre" zufolge in dieser Saison zu den 20 meistgespielten Autoren in den USA. Das mag daran liegen, dass sie große Geschichten an widrigen Orten findet oder daran, dass sie über Menschen schreibt, die dagegen ankämpfen, vom Leben einfach vergessen zu werden. Doch vor allem ihre beißende Sozialkritik macht ihre Texte so überzeugend. Damit reiht sie sich direkt in die Tradition des großen afro-amerikanischen Dramatikers August Wilson ein. In einem Interview mit der "New York Times" erzählt die Autorin, dass in Detroit mehr und mehr Menschen, die früher Autos hergestellt haben, nun obdachlos in ihnen leben müssen. Aus der Perspektive dieser Menschen zu schreiben, sei für sie die Inspiration für die Figur Faye und das Stück gewesen.
    Zynischerweise machte die Autoindustrie im vergangenen Jahr durch Automatisierung und Auslagerung der Produktion nach China wieder Rekordgewinne, doch das Geld findet nicht mehr zurück in die Stadt, schon gar nicht zu Menschen wie Faye.