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Debakel um STAP-Zellen-Studie
Zwischen wissenschaftlichem Fehlverhalten und unbeabsichtigten Fehlern

Das Debakel um eine fehlerhafte Veröffentlichung der jungen Stammzellforscherin Haruko Obakata hinterlässt weiter Spuren. Letzte Woche kündigte Charles Vacanti, Professor in Harvard und Co-Autor der umstrittenen Nature-Studie an, sein Amt als Leiter der Anästhesie nieder zu legen und eine einjährige Auszeit zu nehmen. Auch wenn Vacanti bei seiner Entscheidung keinen direkten Bezug nimmt, der Fall um die STAP-Zellen ist auch so schon in persönlicher Dramatik kaum zu überbieten. Ein Einzelfall ist der Rückzug der Studie allerdings nicht. Im Gegenteil: Immer öfter werden wissenschaftliche Studien im Nachhinein als fehlerhaft erkannt und widerrufen. Wird Wissenschaft immer unglaubwürdiger? Selbstkritische Forschung zeigt: Nein, das Gegenteil ist der Fall.

Von Anneke Meyer | 27.08.2014
    "Wissenschaftlich bewiesen" ist ein Gütesiegel oberster Klasse. Was "wissenschaftlich bewiesen" ist stimmt. Oder etwa nicht? In den letzten Jahren wurden immer öfter Studien im Nachhinein als fehlerhaft entlarvt und vom veröffentlichenden Journal zurückgezogen. Ein Grund an der Forschung an und für sich zu zweifeln? Mit Nichten, meint zumindest Daniele Fanelli von der Universität Montréal:
    "Definitiv werden Studien immer häufiger zurückgezogen. Aber das ist ein gutes Zeichen!"
    Der ehemalige Verhaltensforscher ist einer der ersten, die wissenschaftliches Fehlverhalten systematisch untersuchen. In seiner Einschätzung ist die zunehmende Anzahl zurückgezogener Studien die Folge eines steigenden Verantwortungsbewusstseins.
    "Wissenschaft galt lange Zeit als selbstkorrigierend. Betrug – klar, kommt mal vor, ist aber nicht wesentlich. Man ging davon aus, dass die Gesetze der Wissenschaft alles wieder ins Lot brächten. Dieses Selbstverständnis ändert sich jetzt. Wir begreifen immer mehr, dass wir Strukturen brauchen um solche Fälle in den Griff zu kriegen."
    Solche Strukturen, das sind Regeln zum Umgang mit fehlerhaften Veröffentlichungen. Dazu gehört etwa, dass der Redakteur erhobene Vorwürfe durch einen Experten prüfen lässt, bevor er weitere Schritte einleitet. Genauso muss festgelegt werden, wann ein Autor kontaktiert oder ein Institut über mögliches Fehlverhalten seiner Wissenschaftler informiert wird.
    Laut Daniele Fanelli werden Richtlinien dieser Art in immer mehr wissenschaftlichen Verlagen umgesetzt. Für seine eigenen Studien zieht er Informationen aus Datenbanken, die der wissenschaftlichen Gemeinschaft als allgemein zugängliche Bibliothek dienen. Hier geht jede einzelne Studie ein, die jemals in irgendeinem Magazin veröffentlicht wurde. Auch die Korrektur oder der Rückzug einer Studie wird vermerkt.
    "Die Anzahl zurückgezogener Studien wächst wirklich exponentiell. Aber dieser Trend kann allein dadurch erklärt werden, dass immer mehr Journale Studien widerrufen und nicht dadurch, dass Widerrufe in den einzelnen Journalen häufiger werden."
    "Science" hat dieses Jahr bereits zwei Publikationen zurückgezogen, "PNAS" drei, "Nature" sogar acht. Die Dramatik jedes einzelnen Falls drängt das Gesamtbild dabei schnell in den Hintergrund: Von knapp dreißigtausend Arbeiten, die pro Woche veröffentlicht werden, stellen sich nur 0,02 Prozent im Nachhinein als so fehlerhaft heraus, dass sie zurückgezogen werden.
    Die Dunkelziffer, schätzt Fehlerforscher Daniele Fanelli, ist allerdings deutlich höher. Hinweise auf die Bereitschaft Ergebnisse schön zu reden, sieht er im sogenannten US-Effekt. Ein Phänomen, das er vor allem in Ländern beobachtet, in den der Publikationsdruck besonders hoch ist.
    "Eine unserer eigenen Veröffentlichungen belegt, dass Forschungsergebnisse in den USA tendenziell mehr aufgebauscht werden, als es in Studien zum gleichen Thema aus Europa der Fall ist. Es gibt auch Belege dafür, dass über die Jahre immer mehr positive und immer seltener negative Ergebnisse veröffentlicht werden. Das ist natürlich kein Beweis für eine zunehmende Bereitschaft zum Betrug. Der Schluss liegt zwar nahe, aber einen direkten Beweis dafür gibt es nicht."
    Eine gute Methode um festzustellen, wie viel Betrug in der Wissenschaft tatsächlich stattfindet, hat Daniele Fanelli bisher nicht gefunden. Dass die Anzahl zurückgezogener Studien aber ein denkbar schlechtes Maß ist, davon ist er überzeugt.
    "Das Ironische an Widerrufen ist, dass sie zwei extrem gegensätzliche Arten wissenschaftlichen Verhaltens widerspiegeln. Auf der einen Seite steht das größte wissenschaftliche Verbrechen: gefälschte Daten. Auf der anderen Seite steht die absolute Ehrlichkeit zu sagen: "Ich habe einen Fehler gemacht". Und das ist der höchste denkbare Ausdruck wissenschaftlicher Integrität."
    Wissenschaftliches Fehlverhalten ist bisher häufiger der Grund aus dem eine Studie zurückgezogen wird als unbeabsichtigte Fehler. Widerrufe werden deshalb oft mit Betrug gleich gesetzt. Ein Stigma, das es trotz allem zu vermeiden gilt. Nur so werden in Zukunft mehr Wissenschaftler es wagen zu einer fehlerhaften Studie in aller Konsequenz zu stehen.