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Von der Straße ins Bordell?

Prostitution ist in Frankreich nicht strafbar. Dennoch sind Bordelle bisher verboten. Doch das könnte sich ändern: Abgeordnete der konservativen Regierungspartei setzen sich öffentlich für die Wiedereröffnung der sogenannten Maisons closes ein - und spalten mit diesem Vorstoß die Nation.

Von Margit Hillmann | 28.04.2010
    Mittags in einem Traditionscafé am Rande des legendären Pariser Rotlichtviertel Pigalle – hierher bestellt Tiphaine Journalisten, die ihre Meinung über die aktuelle Debatte um die Maisons closes hören wollen. Die selbstbewusste 24-jährige Prostituierte im eleganten knielangen Rock ist Sprecherin des STRASS, der "Gewerkschaft für Sexarbeit". Wir sind für die Legalisierung, sagt sie.

    "Wir sind dafür, dass Sexarbeiter zusammen und unter eigener Regie in Gemeinschaftsräumen oder speziellen Häusern arbeiten können. So wie das auch in anderen Freiberufen üblich ist: bei Ärzten oder Anwälten zum Beispiel, die sich Praxen teilen. Das verbessert nicht nur die hygienischen Arbeitsbedingungen. Wir sind dort vor allem sicherer vor gewalttätigen Kunden, sicherer als in einer abgelegenen Straße oder im Wald, wo viele Prostituierte heute arbeiten müssen."

    Der NID - ein gemeinnütziger Verein, der sich mit Präventionsarbeit gegen Prostitution landesweit einen Namen gemacht hat, ist gegen die Wiedereröffnung der Bordelle. Der Vorschlag sei politische Augenwischerei, meint Samuel Prieur, Koordinator und Sprecher des NID:

    "Die Maisons closes wurden in Frankreich geschlossen, gerade weil die Prostituierten dort regelmäßig der Gewalt von Zuhältern und Kunden ausgesetzt waren. Außerdem verbreiteten sich von dort aus Geschlechtskrankheiten, deren erste Opfer ebenfalls Prostituierte waren. Heute will man uns weismachen, dass die Prostituierten in Bordellen sicherer vor Gewalt sind und die hygienischen Bedingungen besser seien. Wir glauben nicht daran. Bordelle werden auch heute von skrupellosen Zuhältern kontrolliert; Prostituierte, die dort arbeiten, sind immer Opfer sexueller Ausbeutung."

    Wie viele Feministinnen und die Mehrheit der politischen Parteien bekennt sich auch der NID zu dem bisher in Frankreich geltenden Abolitionsprinzip: dem langfristigen Ziel, Prostitution als – in ihren Augen - ausbeuterisches und menschenverachtendes Gewerbe ganz abzuschaffen. Die Wiederzulassung der "maisons closes" verstoße nicht nur gegen diesen Grundsatz. – Sie werde das Geschäft in Frankreich regelrecht anheizen, prophezeit NID-Sprecher Samuel Prieur:

    "Bei uns gibt es bisher deutlich weniger Prostitution als in den meisten anderen europäischen Ländern. Jene europäischen Länder, die die Gesetzgebung für das Betreiben von Bordellen und Eroscenter liberalisiert haben, ziehen heute die organisierte Kriminalität aus aller Welt an. Diese bittere Bilanz ziehen auch die Niederländer, die jetzt dabei sind, den Rückwärtsgang einzulegen. Dort hat der Staat nichts anderes getan, als kriminelle Unternehmen offiziell anzuerkennen. Das kann nicht unser Modell für Frankreich sein."

    Tatsächlich gehen in Frankreich nach Schätzungen der Polizei nur etwa 30.000 Prostituierte und Stricher regelmäßig ihrem Gewerbe nach. In Deutschland wird dagegen von bis zu 400.000 hauptberuflichen Sexarbeitern ausgegangen. Doch dürfte die Dunkelziffer in Frankreich besonders hoch sein - aufgrund der repressiven Prostitutionspolitik. Die richtet sich nicht nur gegen Zuhälterei, Zwangsprostitution und Menschenhandel. Sie betrifft auch die Prostituierten. Frankreichs Sexarbeiter unterliegen einem strikten Werbeverbot, das erst 2003 vom damaligen Innenminister Nicolas Sarkozy verschärft wurde. Schon provozierende Kleidung oder das Ansprechen von Kunden auf der Strasse erfüllen den Tatbestand der "racolage" - der Kundenwerbung und werden mit saftigen Geldstrafen oder Haft geahndet. Einschränkungen, die einem Berufsverbot gleichkommen und immer mehr Prostituierte zum Abtauchen in die Illegalität zwingen. Prostituiertensprecherin Tiphaine:

    "Es gibt die so genannten Massagesalons oder Sexshops in den traditionellen Pariser Rotlichtvierteln Rue de Saint Denis und Pigalle. Läden, die offiziell legalen Geschäften nachgehen, aber in Wirklichkeit in den Wohnungen darüber Sex mit Prostituierten verkaufen. Illegale Bordelle, die entweder vom Geschäftsinhaber oder von der Mafia betrieben werden. Die Arbeitsbedingungen sind dort besonders schlecht und die Prostituierten dürfen nur wenig von ihrem Verdienst behalten. Hin und wieder taucht die Polizei auf und schließt die Läden. Aber oft werden die illegalen Bordelle toleriert, weil sie Geld ins Viertel bringen oder – wenn die Läden der Mafia gehören - es schwierig ist, sie zu schließen."

    Die von Politikerinnen der Regierungspartei angestoßene Debatte um die Wiedereröffnung der maisons closes könnte – das jedenfalls hofft die Pariser Prostituierte - so etwas wie eine Wende bedeuten.

    "Unsere Gewerkschaft ist froh über den Vorschlag. Es ist gewissermaßen das Eingeständnis, dass die extrem restriktive Politik Nicolas Sarkozys gegen die Prostituierten ein Misserfolg ist."