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"Ich wünsche mir deutliche Unterschiede zwischen den Parteien"

Steffen Flath, Kultusminister von Sachsen, hält die geringen Unterschiede der beiden großen Volksparteien SPD und CDU in der öffentlichen Wahrnehmung für nicht gut. Gerade in den neuen Bundesländern wäre es für die Demokratie vorteilhafter, die damit verbundene Freiheit besser einzuüben und zu praktizieren. Eine wichtige Rolle nehme das Elternhaus dabei ein, das aber in seiner Bedeutung noch nicht genügend gewürdigt werde, sagte Flath.

Moderation: Jürgen Liminski | 22.11.2007
    Jürgen Liminski: Heute ist Angela Merkel zwei Jahre im Amt, es waren die besseren, glaubt man manchen Kommentatoren. Einer ihrer politischen Leitsätze für die Demokratie lautet so, "der Staat muss fördern und darf nicht einschränken. In diesem Sinn muss er Gärtner sein und nicht Zaun", Zitat Ende. Aber was tun, wenn Maulwürfe innerhalb des umzäunten Gartens die Arbeit der bemühten Gärtnerin erschweren, denn eine bekannte Folge großer Koalitionen ist, dass die kleinen Parteien und die politischen Ränder gestärkt werden. Ist das in den letzten zwei Jahren geschehen? Gibt es eine signifikante Steigerung des politischen Radikalismus und die entsprechende Schwächung der Demokratie? Zu diesen Fragen begrüßen wir den Kultusminister von Sachsen, Steffen Flath, guten Morgen, Herr Flath.

    Steffen Flath: Guten Morgen, Herr Liminski.

    Liminski: Herr Flath, zwei Jahre Große Koalition im Bund und eine, sagen wir mal, größere Koalition auch in Sachsen: Hat das die Demokratie geschwächt und die Ränder gestärkt?

    Flath: Nun will ich mal nicht alles der Großen Koalition in die Schuhe schieben, aber zumindest ist es nicht förderlich, wenn die zwei großen Volksparteien, CDU und SPD, sich kaum unterscheiden. Das ist nicht gut, vor allen Dingen in einem Bundesland, was nun jetzt im 18. Jahr die Demokratie übt., vorher über mehrere Generationen Diktaturen gelebt hat, da wünschte ich mir schon, deutliche Unterschiede zwischen Parteien, für die Demokratie förderlicher, als es jetzt ist.

    Liminski: Demokratie üben, sagen Sie, Demokratie ist in der Tat keine Selbstverständlichkeit. Die Geschichte hat uns ja auch schon manches Beispiel geliefert, dass Diktatoren durch Wahlen ganz legal an die Macht kamen. Vielleicht sind die Institutionen bei uns intakt, aber die demokratischen Gesinnungen schwächer geworden. Wie kann man denn dem entgegenwirken?

    Flath: Also das Vertrauen in die Institutionen ist nicht sehr ausgeprägt und ich bin mir nicht ganz sicher, ob in Sachsen tatsächlich die Demokratie als ein Wert an sich, als ein deutlicher Unterschied zu einer Diktatur wirklich in den Köpfen so verankert ist, wie das sein müsste. Denn Demokratie, natürlich, sie erhält sich nicht von selbst und deshalb sind wir, denke ich, gut beraten, schon was alles so an Umfragen jetzt in Sachsen, ist es ja so, etwa 30 Prozent Linkspartei, als Problem auf der linken Seite, auf der rechten Seite nach wie vor etwa zehn Prozent NPD. Das sind zusammen 40 Prozent und wenn dann noch 50 Prozent nicht zur Wahl gehen, dann sind das alles Zeichen, dass die Demokratie so ernst leider nicht genommen wird.

    Liminski: Demokratie einüben tut man vielleicht in der Schule. Die Franzosen haben in der Schule in der Tat ein Fach, das heißt "Instruction civique", wir würden vielleicht sagen, Staats- und Gesellschaftskunde. Dabei wird auch den Kleinen nicht nur beigebracht, wie die Institutionen funktionieren, sondern auch wie zwischenmenschliche Beziehungen zu gestalten sind, also Begriffe wie Zivilcourage oder Toleranz zu interpretieren sind. Ich frage mal naiv, wäre das nicht auch etwas für uns?

    Flath: Also was die Unterrichtsfächer betrifft von Geschichte, über Gemeinschaftskunde gibt es, glaube ich, viele Möglichkeiten. Aber es ist in der Tat genau richtig, dass es viel mehr darauf ankommt, das Zwischenmenschliche einzuüben, was ja natürlich in der Schule eine Rolle spielt, was aber auch im Elternhaus erlernt werden muss, im Grunde zunächst mal die eigene Meinung, das eigene Wollen, die Wünsche zu formulieren und auf der anderen Seite aber auch zu lernen, dass es da auch andere gibt, mit ganz anderen Interessen und dass dann eingeübt werden muss, wie man einen solchen Interessenausgleich findet.

    Also das tun wir in Sachsen. Wir haben Projekte aufgelegt, wie die Schule an sich, als Institution demokratisch lebt. Nehmen wir ein Beispiel, was immer wieder heiß diskutiert wird: Wann sollte die Schule morgens beginnen? Das legt nicht der Kultusminister fest, das legt die Schule selbst fest. Und da sollte man die Kinder mal fragen, dann natürlich die Eltern, die Lehrer, der Schulträger, der Landkreis, der den Schülerverkehr organisiert. Alle haben sie ein Interesse und das muss zusammen gebracht werden. Nur stelle ich fest, das ist oft gar nicht bewusst, deshalb haben wir so ein Projekt aufgelegt, und wollen damit nun befördern, dass an der Schule demokratisches Verhalten eingeübt wird.

    Liminski: Welche Werte sollte man denn dabei verstärkt bewusst machen, damit die Demokratie nicht geschwächt wird?

    Flath: Ja, da Wert der Freiheit zum Beispiel. Es ist ja immer so, wenn man Freiheit lebt, nimmt man sie nicht wahr und achtet sie nicht und nun kommt hinzu, wir müssen bedenken, dass die Kinder, die jetzt an den Schulen in Sachsen sind, die sind alle in der Zeit geboren, da lebten wir bereits in der Freiheit. Und Freiheit als ein Grundwert - weitergeführt die Demokratie als ein Grundwert - das müssen Kinder erfahren und da sind wir auf die Elternhäuser angewiesen, da sind wir aber auch auf Lehrerinnen und Lehrer angewiesen und bei beiden wirkt natürlich eine Diktatur nach und insbesondere wirkt sie nach in so einer merkwürdigen Mischung von Nostalgie, wo natürlich auch manches verdrängt wird aus der Zeit der Diktatur, ich glaube, das war in Deutschland nach der Nazizeit nicht anders, wo halt immer mehr in den Hintergrund tritt die Nachteile, die vielen unschönen Dinge, die passiert sind und was die Kinder erleben, sowohl im Elternhaus, als auch in der Schule, dass sie überhaupt nicht richtig begreifen, was dort eigentlich 1989 passiert ist.

    Liminski: Sie sagen, auf die Elternhäuser angewiesen. Das berührt natürlich das Thema Erziehungskompetenz. Auch hier gibt es, übrigens auch in Ihrer Partei, unterschiedliche Auffassungen, polarisieren sich in dem Satz, "mehr Staat, weniger Eltern", oder umgekehrt, "weniger Staat, mehr Eltern". Wofür optieren Sie denn?

    Flath: Also, sowohl die Demokratie, als auch der Staat baut ganz klar auf Familien auf und ich finde es nicht gut, wie gegenwärtig im Grunde SPD und CDU, obwohl sie eine sehr unterschiedliche Programmatik haben, zumindest bis jetzt, man muss immer sehen, was der CDU-Parteitag der übernächsten Woche bringt, aber die Parteien werden weitgehend wahrgenommen in einer gewissen Verherrlichung des Staates, als könnte der Staat alles richten und für mein Bedauern bekommen Familien, die immer noch in der deutlichen Mehrheit ihre Aufgabe sehr, sehr ordentlich machen, im Grunde ihre Arbeit wenig anerkannt.

    Und das ist kein Weg, der in die Zukunft führt, weil ich glaube, auch demokratisches Verhalten, wenn ich an die eigenen Kinder denke, wie spannend ist eine Diskussion, wohin man zum Beispiel in Urlaub fährt: Der eine will an die Ostsee, der andere will in die Alpen und dann, wie dann über eine länger Diskussion in der Familie eben nicht einer sich durchsetzt und sagt, es wird gemacht, so wie ich das will, sondern wie man versucht Kompromisse auszuarbeiten, ich glaube, dort lernen Kinder das erste Mal, dass nicht nur ihr eigener Wille entscheidend ist, oder vielleicht der Wille der Mutter oder Vater, sondern dass das in der Gemeinschaft eingeübt wird und darauf baut später die Schule auf und nicht so, dass etwa die Familie verzichtbar wäre. Der Eindruck entsteht manchen Tag, das ist mit Nichten so.

    Liminski: Benedikt VI., der deutsche Papst, hat unlängst den Satz formuliert, die Familie ist der Kern aller Sozialordnung, also auch der Demokratie. Ist es ein bisschen gewagt, zu fragen, ob die Deutschen mehr auf den Papst hören sollten, oder vielleicht mehr auf die Kirchen, oder sollten die Kirchen gewagter ihre Werte verkünden? Welche Rolle spielen die denn in der Demokratie?

    Flath: Die Kirchen, 1989 einen kurzen Aufschwung und ich glaube mal, dass die Kirchen aber eine größere Möglichkeit hätten in unserer Gesellschaft tatsächlich zu bürgen und da ist es, ob man da auf den Papst mehr hört, oder auf die Kirchen, ich wünsche mir, dass Kirchen deutlicher auf die Grundwerte unserer Gesellschaft unseres Zusammenlebens hinweisen und nicht allzu sehr der Versuchung erliegen, im politischen Tagesgeschäft sich mit einzuordnen. Weil ich denke, das merke ich auch ganz deutlich immer wieder bei den eigenen Kindern. Die mögen das nicht immer, wenn man klares Wort sagt, eine klare Orientierung, eine klare Richtung gibt. Aber nach ein, zwei Jahren hört man dann das Echo, dass es gut war, dass sie eine Orientierung haben, auch wenn sie nicht immer gleich danach gelebt haben und nicht anders ist es in der Gesellschaft. Deshalb, ja, sind die Kirchen aufgerufen, deutlicher ihre Meinung zu artikulieren.

    Liminski: Orientierung braucht auch die Demokratie, zwei Jahre große Koalition, das war der Kultusminister von Sachsen, Steffen Flath, besten Dank für das Gespräch, Herr Flath.

    Flath: Bitte schön.