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Mißfelder: "Wankendes Italien" bedroht den Euro

Nach dem Schuldspruch über Silvio Berlusconi sitzt nun ein verurteilter Steuerbetrüger in Italiens Regierungskoalition - und Beobachter spekulieren über Neuwahlen. Die würden die Stabilität der Eurozone ernsthaft gefährden, warnt CDU-Außenpolitiker Philipp Mißfelder.

Philipp Mißfelder im Gespräch mit Christine Heuer | 05.08.2013
    Christine Heuer: Es kamen zwar weniger seiner Anhänger als erwartet. Trotzdem kann Silvio Berlusconi mit der Protestkundgebung für ihn gestern Abend in Rom zufrieden sein. Immerhin rund 2000 Menschen waren gekommen, um dem verurteilten Steuerbetrüger ihre Solidarität zu versichern.

    Wir sind verbunden mit dem außenpolitischen Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, mit Philipp Mißfelder. Guten Morgen!

    Philipp Mißfelder: Guten Morgen, Frau Heuer.

    Heuer: Eine Solidaritätsdemonstration für einen verurteilten Steuerbetrüger – verstehen Sie die Italiener noch?

    Mißfelder: Na ja, von außen gesehen fällt es einem schwer zu verstehen, wie viele Menschen gestern freiwillig in Rom und an anderen Stellen sich für Berlusconi aussprechen. Aber die Faszination, die Berlusconi innerhalb Italiens ausstrahlt, die ist im Ausland schon längst erloschen, aber im Inland sehen wir, dass er weiterhin sehr, sehr viele Anhänger hat, und Menschen, die unterstellen, alle Anhänger seien gekauft, die überschätzen vielleicht das Vermögen von Herrn Berlusconi, denn so viele Menschen kann selbst er nicht kaufen.

    Heuer: Kann denn die Koalition in Rom weiter machen mit einem verurteilten Steuerbetrüger Berlusconi an einflussreicher Stelle?

    Mißfelder: Ich kann nur sagen, dass wir alles für den Euro gebrauchen können, außer ein wankendes Italien, denn politische stabile Verhältnisse in der Peripherie der Euro-Zone sind die Voraussetzung dafür, dass wir die notwendigen Reformen struktureller Natur, aber auch die notwendigen Reformen auf institutioneller Ebene in Europa überhaupt in Angriff nehmen können, denn wir können nicht in den Wahlrhythmus, in einen immer wiederkehrenden Wahlrhythmus zurückkehren, wo wir vor der Herausforderung stehen, dass immer wieder von vorne gewählt wird, meinetwegen in Spanien, in Portugal hat die Koalition gewackelt, oder jetzt sogar dann in Italien. Das ist etwas, was wir uns für den Euro nicht leisten können. Das werden die Märkte auch nicht akzeptieren.

    Heuer: Dann verstehe ich Sie richtig, sie wären aus diesen Überlegungen heraus eigentlich dagegen, dass es zu Neuwahlen in Italien kommt?

    Mißfelder: Berlusconis Partei ist organisatorisch sehr, sehr stark. Sie hat das notwendige finanzielle Zeug dazu, auch erfolgreich weiter Wahlkampf zu führen. Der "Economist" hat vor einigen Monaten eine Titelgeschichte gemacht, wo er von zwei Clowns gesprochen hat, Grillo und Berlusconi. Das hat der deutsche Kanzlerkandidat Steinbrück aufgegriffen und das ist von ihm als Verunglimpfung ausgelegt worden. Aber wenn man sich die englischsprachige Presse anschaut, so sieht man, ist die Meinungsbildung sehr, sehr stark, was das italienische Parteiensystem angeht, und ich glaube, einen solchen Wahlkampf wünscht sich von uns keiner.

    Heuer: Andererseits kann Berlusconi keine politischen Ämter mehr übernehmen nach seiner Verurteilung. Insofern wären Neuwahlen vielleicht doch gar nicht so eine schlechte Lösung?

    Mißfelder: Ja, aber ich kann da noch mal auf mein Eingangs-Statement zurückkommen. Gerade was die politischen stabilen Verhältnisse für Reformen in Europa angeht, können wir uns es nicht erlauben, in der Peripherie ständig in einen Wahlrhythmus zurückzukehren. Das gilt sowohl für Griechenland als auch für Länder wie Portugal, Spanien und insbesondere für Italien. Das ist eben das Problem, was wir jetzt in der Euro-Krise oder in der Verschuldungskrise in Europa sehen, dass in den Systemen, wie wir uns bewegen, nämlich demokratischer Systeme und einer Finanzindustrie, der wir gegenüberstehen, dass wir natürlich an unsere Grenzen geraten, denn die Finanzmärkte erwarten klare strukturierte Prozesse und das ist in einer Demokratie meistens nicht der Fall, weil in einer Demokratie es darum geht, um Teilhabe, um Menschen mitnehmen, um auf die Probleme und Sorgen von Menschen einzugehen. Die sind in der Peripherie mit Jugendarbeitslosigkeit, mit Zukunftsängsten sehr, sehr groß und auch ganz anders als der Wahlkampf gerade in Deutschland, und deshalb ist die Frage der Chaotisierung nachher schon etwas, was man nicht außer Acht lassen darf.

    Heuer: Und da wäre alles besser, Herr Mißfelder, sogar eine Amnestie, wie Berlusconis Partei sie jetzt für ihn fordert und ansonsten mit Rücktritt droht?

    Mißfelder: Das kann ich so nicht beurteilen. Ich bin kein Experte, was die italienische Innenpolitik angeht. Ich kenne viele Politiker aus der Berlusconi-Partei, weil diese Partei irgendwann ja mal auch in die Europäische Volkspartei eingetreten ist und deshalb ja auch zur Parteienfamilie der Christdemokraten oder der Mitte-Rechts-Parteien gehört. Ich kann nur sagen, dass ich glaube, dass die Rhetorik – und das ist mein Eindruck – vielleicht etwas auch martialischer wirkt als die Verhältnisse selbst. Denn viele Menschen in der früheren Forza Italia, in der heutigen Volkspartei in Italien, die wollen weiterhin regieren, ob mit Berlusconi oder ohne. Sie wollen weiter, dass ihre Partei an der Macht bleibt, und das ist das Hauptmotiv vieler. Es geht nicht nur um Berlusconi bei dieser Partei, selbst wenn die Demonstrationen gestern den Eindruck erweckt haben. Ich denke, sie halten an ihrem Gründer noch sehr, sehr stark fest, aber die politische Realität hat sich in einigen Teilen auch schon ohne Berlusconi weiterentwickelt und das wird die Entwicklung auch der nächsten Jahre sein.

    Heuer: Dann schauen wir noch mal etwas ausführlicher auf die Euro-Krise. Sie haben sie mehrfach angesprochen. Besteht denn die Gefahr, Herr Mißfelder, dass Italien, wenn jetzt das politische System weiter destabilisiert wird, das neue Griechenland wird?

    Mißfelder: Das kann aus einem Grund schon nicht passieren, weil Italien, was die industrielle Stärke Italiens betrifft, überhaupt nicht mit Griechenland vergleichbar ist. Aber wenn es ähnliche politische Verhältnisse geben könnte wie in Griechenland, wo kaum noch Fortschritte zu sehen sind, wo auch die großen Anstrengungen nicht erfüllt werden können, weil das System einfach an seine Grenzen stößt, dann wird es zu großen Verwerfungen innerhalb der Euro-Zone kommen. Das können wir uns auf keinen Fall erlauben, denn Deutschland ist gar nicht in der Lage, als letzte Instanz Italien zu schützen vor Angriffen der Märkte, sondern Italien muss sich selber schützen. Wir müssen mit den Strukturen, die wir jetzt haben, die sich in einem Entwicklungsprozess befinden, mit denen müssen wir versuchen, die Peripherieländer so stark zu machen, dass sie wieder das Vertrauen an den Märkten zurückgewinnen können. Was für die Märkte allerdings zunehmend immer wichtiger geworden ist, ist auch politische Stabilität. Das sehen wir jetzt in Spanien, dass trotz einer Krise innerhalb der Regierungspartei Spanien relativ stabil und geordnet regiert wird. Wir sehen, dass die Koalition sich in Portugal zusammengerissen hat und weiter vernünftige Arbeit leistet und damit auf einem guten Weg bleibt. Insofern kann man schon sehen, dass politische stabile Verhältnisse auch wieder mehr Vertrauen an den Märkten zurückbringt. Deshalb können wir jetzt kein Chaos in Spanien und Italien gebrauchen.

    Heuer: Kann Europa denn in der jetzigen Situation Einfluss nehmen auf Italien?

    Mißfelder: Ja das ist die große Frage. In Portugal hatte man ja den Eindruck, dass insbesondere ja auch dank der Verhandlungen unserer Bundeskanzlerin und unseres Finanzministers die portugiesischen Parteien sehr, sehr stark und sehr, sehr schnell wieder Vernunft angenommen haben, und ich glaube, dass das auch Europa gut getan hat, dass man da so konstruktiv miteinander umgegangen ist und nicht mit harscher Kritik reagiert hat, sondern versucht, gegenseitig für Verständnis zu werben und damit auch die Märkte wieder einigermaßen im Zaum gehalten hat. Bei Italien scheint der Fall etwas anders zu sein und das spricht ja auch dafür, dass man Italien nicht mit anderen Ländern innerhalb Europas vergleichen kann, weil so ein großes Land, so ein starkes Industrieland und so eine ja auch selbstbewusste Nation, die lässt sich eben nicht von außen beeinflussen, als wenn wir jetzt mit dem Kopf schütteln und sagen, was ist denn da mit Berlusconi los, wie kann man dem noch vertrauen. Aber ich glaube nicht, wenn wir jetzt zu einer großen Verdammungsaktion aufrufen würden, dass das irgendetwas bringen würde.

    Heuer: Der außenpolitische Sprecher der Unions-Fraktion im Deutschen Bundestag, Philipp Mißfelder. Ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Mißfelder: Herzlichen Dank.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.