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Israel
Streit um tödlichen Schuss auf Attentäter

In Hebron hat ein israelischer Soldat einen verletzten Palästinenser aus nächster Nähe mit einem Kopfschuss getötet. Die Menschenrechts-Organisation B’Tselem spricht von Mord. Ministerpräsident Netanjahu stellt sich hinter seine Armee, befürwortet jedoch eine Armee-interne Untersuchung. Sein Koalitionspartner kritisiert die Maßnahme und spricht von Verrat.

Von Christian Wagner | 29.03.2016
    Der Leichnam des getöteten Palästinensers wird am 26. März in Hebron beerdigt. Er wurde am 24. März 2016 von einem israelischen Soldaten getötet.
    Beerdigung eines jungen Palästinensers. Er wurde bei einem Angriff auf eine israelische Patrouille in Hebron getötet. (HAZEM BADER / AFP)
    Nach den ersten Schüssen ist einer der Anwohner in Hebron aufs Flachdach gegangen und hat die Videokamera laufen lassen. Die verwackelte Aufnahme zeigt auf der kleinen Straßenkreuzung etwa 15 israelische Soldaten, zwei Krankenwagen vom Roten Davidstern. Ein angeschossener Palästinenser liegt mit dem Rücken auf der Straße.
    Der war wenige Minuten zuvor mit einem weiteren jungen Mann mit Messern bewaffnet auf einen Soldaten einer israelischen Patrouille losgegangen. Jetzt wird der verletzte Soldat versorgt und mit einem der Krankenwagen weggebracht. Der eine Attentäter, Abed al-Fattah al-Sharif liegt da, die Augen geschlossen, aber er bewegt seinen Kopf. Dann ist deutlich zu sehen und zu hören, dass einer der Soldaten seine Waffe durchlädt.
    Israelische Menschenrechtsorganisation spricht von Mord
    Aus kurzer Entfernung feuert der Soldat auf den Kopf des verletzten Palästinensers. Blut fließt über den Asphalt. Die israelische Menschenrechts-Organisation B’Tselem veröffentlicht das Video im Internet und spricht von Mord.
    Kurz darauf erklärt Verteidigungsminister Moshe Yaalon, der Vorfall in Hebron stehe im krassen Widerspruch zu den Werten der israelischen Armee. Der Schütze, ein 19 Jahre alter Sanitäts-Soldat, kommt in Untersuchungshaft. Sein Anwalt sagt, er habe Leben gerettet, der verletzte Attentäter hätte womöglich einen Sprengsatz zünden können. Der Militärstaatsanwalt aber prüft, ob er wegen Mordes ermittelt.
    Ministerpräsident Netanjahu äußert sich zunächst vorsichtig kritisch. Aber als am Sonntag das israelische Kabinett zusammenkommt, geht es in eine andere Richtung:
    "Die ethische Haltung der israelischen Armee in Zweifel zu ziehen, ist empörend und falsch. Die Soldaten, unsere Kinder, halten sich an hohe ethische Standards, während sie tapfer gegen blutrünstige Mörder kämpfen, und das in einem harten Einsatzgebiet. Jede Untersuchung, auch diese, wird alle diese Umstände berücksichtigen. Wir stehen hinter dem Generalstabs-Chef, der Armee und unseren Soldaten, die uns schützen."
    Koalition verteidigt Handeln der israelischen Armee
    Kein Bedauern des Vorfalls, keine Verurteilung, aber immerhin: Rückendeckung für die Armee-interne Untersuchung. Aber in den Augen von Netanjahus Koalitionspartner, Bildungsminister Naftali Bennett, ist das schon Verrat. Die Regierung tanze nach der Pfeife der verhassten Menschenrechtler von B‘Tselem:
    "Wer hier von einem Mordfall spricht, der muss moralisch verstört sein. Einem Soldaten im Kampfeinsatz kann man doch keinen Mord anhängen. Man muss richtig und falsch auseinanderhalten, Freund und Feind – alles andere ist moralisches Versagen. Ich erwarte, dass das geradegerückt wird."
    Bennett nutzt den öffentlichen Druck für seine politischen Zwecke: Er berichtet vom Gespräch mit den Eltern des Soldaten, die sich beklagen, Armee und Regierung würden ihren Sohn im Stich lassen.
    Petition fordert Freilassung des Soldaten
    Bisher sei aber in keinem vergleichbaren Fall ein Soldat vor Gericht gestellt worden, beklagt die israelische Tageszeitung Haaretz in einem Kommentar: Der "Mord von Hebron" sei "keine Ausnahme". Mit den Werten der Armee sei es nicht weit her. Und die Yedioth Ahronot kommentiert, die öffentliche Stimmung in Israel und das Verhalten der Regierung müssten "faschistisch" genannt werden. Aber die israelische Regierung weiß die Mehrheit der eigenen Bevölkerung hinter sich. Wissenschaftsminister Ofer Akunis:
    "Wir haben keine Standgerichte. Ein ordentliches Gericht wird das untersuchen. Aber wie auch immer: Tote Terroristen sind besser als tote Soldaten."
    Mit einer Online-Petition fordern inzwischen mehrere Zehntausende Israelis, der Soldat müsse freigelassen - und als Held ausgezeichnet werden.