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Digitalisierung der Landwirtschaft
Daten säen, Daten ernten

Big-Data-Analysen, Sensoren im Acker und die Hofverwaltung in der Cloud: IT-Hersteller witterten hier vor Jahren schon das große Geschäft. Sie wollten dem Landwirt "Digital Farming" aus einer Hand anbieten. Doch die digitale Landwirtschaft entwickelt sich derzeit in eine andere Richtung.

Von Jan Rähm und Peter Welchering | 10.11.2019
Eine Drohne fliegt über einem Feld mit einem Traktor mit Anhängespritze, aufgenommen auf einem 5G-Testfeld auf dem Lehr- und Versuchsgut (LVG) in Koellitsch
Mit Drohnen können Landwirte das Wachstum auf ihren Feldern überwachen - oder sogar Nützlinge zur Schädlingsbekämpfung ausbringen (Bild: imago/Florian Gaertner/photothek.net)
"Ich bin mir sicher, dass die Digitalisierung in Landwirtschaftsbetrieben mit großer Geschwindigkeit sich weiter fortsetzt und durchsetzt, weil sie einfach notwendig ist, und das mit Sicherheit eine Entwicklung darstellt, wie das damals die Entwicklung vom Pferd zum Traktor gewesen ist. Das wird eine Veränderung darstellen, die seinesgleichen sucht."
Heiß brennt die Sonne über Claußnitz, einem kleinen Örtchen unweit von Chemnitz in Sachsen. Hier liegen die Felder, Stallungen und Einrichtungen der "Multi-Agrar Claußnitz", einem mittelgroßen und ziemlich modernen Agrarbetrieb, den Michael Polster und seine Kollegen leiten. Polster führt uns in den Kälberstall und bleibt vor einer Art Schrank stehen.
"Gut, hier hinter dem Rolltor versteckt sehen wir einen unserer Tränk-Automaten für die Kälber. Den können wir jetzt einmal öffnen. Die kleineren Kälber stehen hier also zu etwa 25 bis 30 Kälbern pro Gruppe im Außenbereich des Stalles. Haben Zugang zur Frischluft, stehen hier auf Tiefstreu, also auf Stroh. Und hier vorne im Bereich des Tränkautomaten stehen sie auf Beton mit Spaltenboden, dass im Prinzip der Kuhdung, der Urin ablaufen kann. Und der Tränk-Automat ist im Prinzip eine Säule mit einem großen Milchpulver-Tank und auch einer Funkanbindung."
Individuelle Milch-Rationen vom Tränkautomaten
Mehreren Dutzend Kälber hat Polster, vor dem Stall stehen einige entspannt in der Sonne. Andere lümmeln im Stroh. Zwei ganz neugierige traben zu uns ans Gatter. Dass sie am Tränk-Automaten ihre tägliche Portion Milch bekommen, haben die Kälber schnell gelernt. Wie viel sie bekommen, steuern die Landwirte in Claußnitz vom Computer im Büro aus. Sie definieren eine sogenannte Tränkkurve.
"Das heißt, hier wird nach Alter des Kalbes definiert, wie viel Milch das Tier bekommen soll. Jedes Tier hat eine einzelne Marke oder ein Halsband zur Erkennung und beim Eintreten in die Futterstelle wird das entsprechende Tier erkannt und der Rechner im Automat weiß, wie viel Milch das Tier abgefragt hat, beziehungsweise wie viel dem Tier noch zusteht. Und dann wird ganz frisch mit Milchpulver und Wasser die Milch angerührt und das Kalb kann seine entsprechende Menge trinken."
"… Von hier aus sieht man es, glaube ich, noch mal ganz gut und da steht ja auch gerade ein Kälbchen drin. Das sind ja so kleine Boxen, die Tränke …"
"Genau, das sind kleine Boxen. Das hat den Hintergrund, dass die Tiere vereinzelt sein müssen, um ordentlich erkannt zu werden. Das geht nicht, wenn jetzt zwei drei Tiere aneinander stehen würden. Sie müssen einzeln stehen. Und scheinbar hat das Tier im Moment keine Berechtigung, Milch abzurufen, weil jetzt nichts rauskommt. Die Tränkkurven an sich, die vom Computer aus … Doch - jetzt hört man; jetzt hat er das Tier erkannt. Jetzt wird Milch angerührt, man hört das, über kleine Pumpen wird Wasser und Milch zusammengeführt. Jetzt stellt sich doch gerade noch ein zweites Kalb daneben und die können parallel trinken."
"Die Daten für jedes Tier werden auch wieder im Büro festgelegt? Gibt es eine Feedback-Schleife? Also sozusagen, war jedes Tier trinken?"
"Ganz genau so läuft es. Der Mitarbeiter kann direkt am Automaten an dem kleinen blauen Terminal rechts daneben schauen, ob ein Tier getrunken hat oder nicht und wie oft es am Tränk-Automat war und welche Menge es aufgenommen hat. Die gleichen Daten kommen aber auch etwas schöner aufbereitet am Computer im Büro an."
Optimierte Produkte für die Lebensmittelindustrie?
So sieht sie aus, die Digitalisierung in Polsters Betrieb. Meist eher unbeobachtet von der großen Öffentlichkeit sind Lösungen wie die Computer-gesteuerte Fütterung der Kälbchen vielerorts fester Bestandteil der Arbeit im Stall und auf dem Feld. Tiere werden digital überwacht, Traktoren fahren GPS-gesteuert zentimetergenau auf den Feldern, Erntemaschinen erfassen noch auf dem Feld die Qualität der gerade geernteten Feldfrüchte. Aussaat und Ernte werden mit Hilfe von Bildern aus Satelliten und Drohnen geplant. Die Landwirtschaft steckt mitten drin in der Digitalisierung, neudeutsch: "Smart Farming".
Digitalisierung in der Landwirtschaft: Ein Bauer sitzt in einem hochtechnologisiertem Traktor, aufgenommen auf dem Lehr- und Versuchsgut (LVG) in Koellitsch
Die Digitalisierung hat Einzug gehalten in der Landwirtschaft: Traktoren fahren zentimetergenau über Felder (Foto: imago/Florian Gaertner/photothek.net)
Einen Höhepunkt erreichte hierzulande die auch von der Bundesregierung unterstützte Digital-Farming-Kampagne 2015. Stephan Brand hat sie im IT-Unternehmen SAP maßgeblich umgesetzt und wollte die Landwirte vor allen Dingen davon überzeugen, dass sie mit Smart Farming mehr Geld verdienen könnten:
"Wenn eine Kartoffel am Ende des Tages für die Pommes Frites sieben Zentimeter in der Länge haben muss und vier Zentimeter im Durchmesser, dann funktioniert das nicht, wenn ich die alle gleichmäßig auswerfe, weil der Boden sehr unterschiedlich ist."
Kartoffeln optimiert für die Herstellung von Pommes Frites – hinter solchen Visionen stand ein agrarindustrielles Konzept. Der Landwirt sollte seine Produktion von Vorprodukten für die Lebensmittelindustrie optimieren. Stephan Brand:
"Zunächst einmal muss man verstehen, dass dieser Anspruch, diese Präzision, daher kommt, dass die Ansprüche an die Produkte, die entstehen, extrem definiert sind. Wenn Sie heute sehen, dass ein Großteil der Bevölkerung gern verarbeitete Kartoffeln zu sich nimmt und nicht die rohen Kartoffeln, dann muss der Farmer auch in der Lage sein, diese Kartoffeln auch sehr präzise anzubauen. Um das zu können, brauche ich nun wiederum ein Verständnis der Umgebung. Ich muss verstehen, wie fruchtbar ist der Boden, ich muss verstehen: Wie stark ist der beeinträchtigt von Feuchtigkeit oder von Wetterbedingungen, um dann immer wieder zu entscheiden, wie präzise und in welchem Abstand muss ich die Setzlinge setzen und infolge dann auch, mit welcher Dosis muss ich sie düngen oder muss sie bewässern über die Zeit. Das nennt sich dann precision farming."
"Precision Farming": Komplettangebot vom IT-Konzern
Für diese hoch präzise Landwirtschaft – nicht nur die der SAP – braucht es Sensoren, Wetterinformationen, Dünge- und Bodendaten und die entsprechende Analyse-Software, die letztlich festlegt, wann geerntet, wo gedüngt und wie bewässert wird. Stephan Brand:
"Am Ende des Tages geht es ja um Entscheidungen, die ein Landwirt treffen möchte. Da muss ich eben auch sicherstellen, dass ich eine Vollständigkeit habe der Information, und dass ich die so aggregiere und aufbereite, dass sie auch für den Landwirt schnell zu konsumieren ist, wenn er dann auf dem Feld steht und vor Ort entscheidet."
Mit genau diesen Entscheidungen wollten die IT-Konzerne Geld verdienen. Der Plan: Sie machen dem Landwirt ein Komplettangebot. Das heißt, sie sorgen mit Sensoren auf dem Feld und in den Böden und mit vernetzten Landmaschinen für die informationstechnische Infrastruktur. Sie liefern aber auch zusätzlich benötigte Daten.
"Wir haben die Systeme für die Geo-Analysen, wir haben die Telematik-Dienste, wir haben die Wetterdienste. Aber die Kunst ist, diese Daten alle zusammenzuführen und zu integrieren, damit tatsächlich jeder Partner in diesem Prozess genau die Daten vorfindet, die er braucht, um am Ende des Tages dem Landwirt, der im Zentrum steht, den besten Service zu liefern."
Nachhaltige Nahrungsmittel statt präzise Vorprodukte
Ostfriesland, Schatteburg, ein kleines Dorf 25 Kilometer von der Kreisstadt Leer entfernt. Getreidefelder, Obstbäume, etwas Viehzucht. Dort bewirtschaftet Hans Werner Lünemann seinen Hof. Das idyllisch gelegene Bauernhaus, in der der Bio-Landwirt lebt, hat immerhin einen Breitband-Internet-Anschluss. Doch den nutzt die Familie vor allem privat. Smart Farming sucht man bei Lünemanns vier Jahre später, im Jahr 2019, vergeblich.
"Ich wollte lieber mit der Natur zusammenarbeiten. Ich wollte eben keine Sensoren irgendwo im Acker einbauen, sondern mit den Boden-Lebewesen, mit der Fruchtfolge arbeiten. All diese Sachen, die sind für mich als Biolandwirt wichtig."
SAP bot Lösungen an, aber Hans Werner Lünemann hat das nicht überzeugt. Er wollte und will keine präzisen Vorprodukte für die großen Lebensmittelkonzerne liefern, sondern nachhaltig produzierte und qualitativ hochwertige Nahrungsmittel:
"Ich war immer der Meinung, dass man mit der biologischen Landwirtschaft die Zukunft besser bedienen kann. Ich möchte die Natur eigentlich für meinen Betrieb wirtschaften lassen und selber nur noch mit flankierenden Maßnahmen eingreifen."
Die Firma SAP präsentiert ihr "Digital-Farming-Konzept auf der CeBIT 2015 mit einem echten Weizenfeld 
Digital-Farming-Demonstration der Firma SAP auf der Cebit 2015 (imago stock&people)
Die ersten Digital-Farming-Konzepte der IT-Konzerne bevorzugten sehr stark Monokulturen, die den Lebensmittelkonzernen Vorprodukte zu äußerst günstigen Preisen liefern. SAP und andere IT-Konzerne wie IBM setzten auf die Farming-Cloud, die für den Landwirt auch das Geschäft mit Lieferanten und Partnerunternehmen abwickeln sollte. Saatgut, Düngemittel, Pflanzenschutzmittel sollten direkt über die Cloud bezogen werden, ebenso Wetterdaten, Bodenanalysen und betriebswirtschaftliche Auswertungen. Der Landwirt sollte alle Dienstleistungen und Services aus einer Hand vom Cloud-Anbieter erhalten. Hans Werner Lünemann:
"Ich finde grundsätzlich diese Art von Landwirtschaft, wenn sie denn so betrieben wird, dass man sich an einem einzigen Anbieter oder eine einzige Firma oder Gesellschaft bindet, die finde ich als Landwirt gar nicht gut. Wir müssen frei sein von diesen Zwängen und wir müssen Möglichkeiten haben, von verschiedenen Anbietern unser Saatgut zu beziehen oder was wir sonst für unseren Betrieb gebrauchen. Es kann nicht sein, dass es nur gesteuert wird von einem oder von zwei Betrieben. Das ist nicht im Sinne von unserer Landwirtschaft."
Digitalisierung nicht nur für preiswerte Massenproduktion
Immer preiswertere Massenproduktion in einer vollkommen automatisierten Agrarindustrie - tatsächlich ist das auch in konventionellen Betrieben längst nicht das vorrangige Ziel der Digitalisierung. Viel wichtiger sind Nachhaltigkeit und Effizienz. Ralf Kalmar, Geschäftsfeldmanager des Fraunhofer-Instituts für Experimentelles Software Engineering in Kaiserslautern:
"Der Landwirt hat sehr wohl im Fokus natürlich, dass er auf seinem Grund und Boden auch noch in drei, vier Generationen Getreide anbauen möchte. Aber derzeit fehlen ihm auch oft die Informationen über ein bestimmtes Teilgebiet auf dem Acker, wie dieser beschaffen ist, um nicht zu viel zu düngen oder auch nicht zu viel Schädlingsbekämpfungsmittel auszubringen. Denn man muss ja auch ganz klar sagen, diese Mittel kosten Geld, kosten auch den Landwirt Geld. Und wenn er dort Geld sparen kann und gleichzeitig nachhaltig ist im Sinne, dass er nicht den Boden schädigt, dass er nicht übermäßig düngt, dann helfen ihm die Informationen, die von Sensoren kommen können, die von Maschinen oder Algorithmen ausgewertet werden, seinen Betrieb optimal zu bestellen."
Individuelle Lösungen also können dem Landwirt helfen, seinen Hof nachhaltiger und betriebswirtschaftlich sinnvoll zu führen. Einseitige Lizenzmodelle für das Digital Farming, wie sie einige IT-Hersteller entwickelten, konnten das nicht leisten. Allerdings ist das Modell der Cloud nach wie vor aktuell. Nicht mehr nur große IT-Konzerne werben damit um den Landwirt, sondern auch die Hersteller von Landmaschinentechnik. Unternehmen wie Claas, John Deere und andere betreiben Clouds, mit Hilfe derer beispielsweise Auslastung und Wartung der Maschinen optimiert wird. Das kommt zwar dem Wunsch der Landwirte nach individuellen Lösungen entgegen, führt aber zu neuen Konflikten, erklärt der Agrarsystemtechniker Professor Thomas Herlitzius von der Technischen Universität Dresden:
"Es gibt zwei grundlegend verschiedene Ansätze. Der eine ist, die Daten sind in der Hersteller-Cloud. Und der Hersteller verspricht, erläutert und erklärt die Transparenz dieser Daten und leitet die Daten des Anwenders entsprechend seiner Forderungen weiter. Das ist nachvollziehbar. Da bleibt natürlich ein gewisser Interessenkonflikt der Hersteller-Cloud zwischen dem Nutzen der Daten und dem Weiterleiten der Daten."
Wer ist der Herr der gesammelten Agrar-Daten?
Diesen Interessenkonflikt sehen natürlich auch die Landwirte. Sie befürchten, dass sie sich mit dem Erwerb einer solchen Lizenz einem Hersteller ausliefern und eben nicht mehr Herr ihrer Daten sind. Herlitzius:
"Da sind berechtigte Bedenken, die wir natürlich aus den Erfahrungen des täglichen Lebens, des Umgangs mit Daten wie bei Amazon, wie bei Google, wie bei Fahrzeugherstellern etwa VW oder BMW sehen, die aber nicht technisch bedingt sind, sondern die dadurch bedingt sind, wie die Geschäftsmodelle derjenigen sind, die diese Verfahren heute so fahren. Generell Smart Farming wird ganz stark erfolgreich sein, wenn es von diesen Daten lebt. Und dazu müssen diese Datenströme genau unter diesem Aspekt ‚Datenhoheit‘, ‚Transparenz‘ in Gang gebracht werden. Es ist also kein technisches Problem, sondern es ist eine Frage: Wie stellen sich die Strukturen und Hierarchien auf in dieser Datenwelt?"
Heute managen Landwirte ihre Datenströme bewusst. Beispiel Multi-Agrar: Die Daten der Kälber aus dem Tränkautomaten landen zwar in einer Cloud – auf die haben aber nur die Mitarbeiter der Multi-Agrar Zugriff. Im Betrieb sammeln noch weitere Anlagen Daten. Beispielsweise das Melkkarussel für die Kühe. Diese Daten gelangen vom Melkkarussel zu einem Dienstleister, der die wichtigsten Merkmale wie Inhaltsstoffe untersucht und den Landwirten eine Auswertung der Milch zurückgibt. Außerdem gehen die Milch-Daten anonymisiert in die Statistik des Sächsischen Landeskontrollverbands ein. Die Datenerhebung, -weiterleitung und -auswertung klappt dabei nur, weil die Systeme sich untereinander verstehen. Das ist nicht selbstverständlich, wie das Fraunhofer Institut für Experimentelles Software Engineering herausfand. Ralf Kalmar:
"Wenn Sie in einen landwirtschaftlichen Betrieb schauen, dann hat der Landwirt üblicherweise Produkte und Geräte von verschiedensten Herstellern. Hier haben wir das Problem der Daten-Interoperabilität, das heißt: Wie passen die Daten, die von einem Gerät kommen, zu den Daten, die von einem anderen Gerät kommen? Und hier hat auch die Wirtschaft bzw. hat der Markt noch keine Lösung geschaffen, die für den Landwirt wirtschaftlich und einfach zu nutzen wäre."
Digitale Insellösungen, fehlende Daten-Schnittstellen
Davon weiß Multi-Agrar-Geschäftsführer Michael Polster ein Lied zu singen. Monopole, wie sie mancherorts befürchtet werden, sieht er keine. Auch keine marktbeherrschenden Hersteller. Dafür aber umso mehr Insel-Lösungen, die zueinander nicht oder nur in Teilen passen, und miteinander nicht kommunizieren können:
"Also wirklich jeder große Landtechnik Konzern, die versuchen alle innerhalb ihrer Marken eigene Systeme zu entwickeln und im Markt zu applizieren. Oftmals kommt man an den Punkt, dass diese Systeme miteinander nicht kommunizieren. Das spüren wir sehr deutlich. Wir sind ja vorhin bei uns über den Hof gelaufen. Da waren Traktoren sämtlicher Farbe auf dem Hof gestanden und wir kommen da sehr oft an den Punkt, wo einfach gewisse Daten meinetwegen vom Farm-Managementsystem im Büro auf ein Drittel der Traktoren überspielt werden können. Aber auf ein anderes Drittel vielleicht nicht. Beim dritten Drittel vielleicht nur ein Teil, dass gewisse Daten aber nicht übertragen werden. Und das merken wir ja sehr oft. Das Gleiche auch im Bereich der Tierproduktion, dass unser Herden-Management-Programm mit dem Melk-Karussel kommunizieren muss. Das können leider nicht alle Systeme, weil Schnittstellen nicht freigegeben sind oder weil sich an Normen nicht gehalten wird. Die Inseln, die sind eigentlich noch zu viel und es wäre eigentlich an der Zeit, da Brücken zu bauen oder Inseln zu vergrößern."
Polster weiß genau wovon er spricht. Er kennt nicht nur die Seite der Praxis im landwirtschaftlichen Betrieb, er forscht auch daran, die Situation zu verbessern. An der TU Dresden promoviert er mit einem Echtzeit-Ortungssystem-System für Landmaschinen. Und zwar nicht nur für die eines Herstellers, sondern Hersteller- und Typ-übergreifend für alle Maschinen im Betrieb. So etwas gibt es derzeit nicht auf dem Markt:
"Das soll im Prinzip helfen, die Prozesse zu analysieren und am Ende auch zu verbessern. Ziel ist, dass jeder der Mitarbeiter diese App, diesen Screen sozusagen, bei sich in die Kabine bekommt. Um selber zu wissen, wo ist denn mein Mitarbeiter, mein Kollege, der mein Erntegut jetzt von mir abnimmt oder der mich mit Gülle versorgt, wenn ich gerade derjenige bin, der welche ausbringen muss, dadurch sozusagen alle Entscheidungen, die während des Prozesses zu treffen sind, mit mehr Wissen im Hintergrund einfach richtiger zu treffen."
Datendrehscheiben verhindern Interessenkonflikte
Für Michael Polster ist klar: Insel-Systeme und Hersteller-Clouds können keine zukunftssichere Lösung für die Landwirtschaft bieten. Thomas Herlitzius bevorzugt deshalb einen ganz anderen Ansatz, der immer wieder diskutiert wird – sowohl auf akademischer wie auch auf technischer und teils auf politischer Ebene:
"Neutrale Datendrehscheiben, die keine Datennutzung betreiben. Es existiert dieser Interessenkonflikt also nicht, und der Datenfluss findet nur statt, wenn zwischen Sender, das ist der Landwirt, und Empfänger, das ist sein Dienstleister, eine rechtliche Vereinbarung besteht, die dieser Datendrehscheibe bekannt ist. Diese Datendrehscheibe wird dann bei Existenz dieser Vereinbarung den Datenfluss automatisiert realisieren. Und das ist dann die Effizienz von Digitalisierung, weil ich mich eben nicht mehr darum kümmern muss, dass meine Daten fließen, sondern das passiert sicher, zuverlässig und automatisiert ohne zusätzlichen Aufwand im Büro."
Der Landwirt soll selbst entscheiden können, welchen Lohn-Unternehmer er mit welchen Arbeiten auf seinen Feldern beauftragt, wo er seine Düngemittel kauft oder ob und welche Pflanzenschutzmittel er einsetzt - und nur der soll auf die Daten zugreifen können. Das soll das Modell der Datendrehscheibe, das von den Agrarwissenschaftlern an der Technischen Universität Dresden favorisiert wird, auch garantieren. Herlitzius:
"Letztendlich der Erfolg besteht dann darin, dass der Dienstleister, der dem Landwirt eine Dünge-Empfehlung macht, eine Dünge-Karte macht, die mehr Nährstoffversorgung macht, der Bodenproben gemacht hat, der ihm bei dem intelligenten Betrieb, beim intelligenten Betreiben von Landwirtschaft hilft mit den Dienstleistungen, die er hat. Die der Landwirt in dieser Qualität selbst gar nicht liefern kann, weil ihm dazu das Potenzial, das Wissen, die Ressourcen und die Kompetenz fehlt. Er kauft sie sich also ein. Er gibt dem Dienstleister seine Daten, der erzeugt die Dienstleistung und er verwendet die erzeugte Dienstleistung, also die aggregierten Daten, die Informationen, die zurückkommen vom Dienstleister, um seine betrieblichen Abläufe effektiver, nachhaltiger zu gestalten. Das funktioniert."
Neue Daten- und Geräteinfrastruktur erforderlich
Doch das erfordert eine neue Infrastruktur, die zum Teil auf den herkömmlichen Strukturen landwirtschaftlicher Betriebe aufsetzen kann. Ralf Kalmar bringt den genossenschaftlichen Ansatz ins Spiel:
"Ähnlich wie wir das in der Vergangenheit schon hatten mit Genossenschaften, über die Maschinen-Ringe, kann man sich auch solche hochtechnisierten Maschinen dann entsprechend teilen. Ähnlich wie wir das auch sehen mit anderen Produkten, werden solche Maschinen und Geräte einfach mehr Sensorik mitbringen, werden von sich aus Daten bereitstellen. So dass auch z.B. Lohn-Unternehmer, die der Landwirt als Dienstleister mit einbezieht zum Beispiel bei der Ernte, ihm diese Dienste durchaus zur Verfügung stellen und der Landwirt nicht zum IT-Experten werden muss oder großflächig investieren muss, um etwas zu nutzen."
Polster kann sich das gut vorstellen, auch wenn sein Betrieb schon so groß ist, dass er alle wichtigen Maschinen selbst vorhält und auslastet:
"Ich glaube schon, dass da ein gewisses Potenzial auch in der Digitalisierung steckt, wenn es darum geht, Maschinen zu teilen. Gerade in kleinen bäuerlichen Strukturen, wo nicht jeder Betrieb vollautomatisch mechanisiert arbeiten kann, wird es da Lösungen geben. Ein Beispiel, was mir jetzt konkret einfällt: Es gibt Anbieter, die durch Satelliten-Fotografie Erntezeitpunkte bestimmen können. Zumindest wird es behauptet, dass sie es annähernd können. Und allein schon über die Art und Weise können kleinere Betriebe auch sagen, okay, mein Weizen braucht ohnehin noch 14 Tage länger als der von meinem Nachbarn. Also kann der Mähdrescher erst bei ihm laufen und dann bei mir. Viele Sachen, die man über die Geschichte vielleicht in Zukunft besser klären kann, als es jetzt läuft."
High-Tech-Güllemaschine für bodengerechte Düngung
Viele Tätigkeiten in der Landwirtschaft können automatisiert werden und dabei sowohl die wirtschaftliche Situation des Landwirts als auch das Tierwohl und die nachhaltige Bewirtschaftung verbessern.
"Wir stehen jetzt vor dem nächsten großen schweren Gerät. Sieht irgendwie aus, als wäre es designt worden mit der Axt und obendrauf einen riesengroßen Tank. Was ist das?"
"So grob wie die Maschine äußerlich wirkt, ist sie im Inneren gar nicht. Es ist eine große Maschine mit einem großen Tank drauf, der fasst 21.000 Liter. Und die Maschine macht nichts anderes als, lapidar gesagt, als Gülle auf dem Feld auszubringen. Wir waren ja gerade im Stall; die vielen Tiere, die hinterlassen natürlich auch Gülle und Mist. Wir sind ein bisschen spezialisiert auf die Gülle und das wird mit dem Gerät ausgebracht. Und das machen wir auch, wie man hinten sieht, am hinteren Teil des Fahrzeugs mit einem Güllegrubber. Im Prinzip wird die Gülle direkt in den Boden eingebracht und nicht oberflächlich aufgetragen, um die Nährstoffverluste zu minimieren."
"Ganz kurz beschrieben: Sieht aus so ein bisschen wie die Maschine vorhin. Also Scheiben, die in den Boden schneiden. Allerdings hinten noch so eine Art Gitter-Rolle, die hinterherläuft und auch hier gehen wieder sehr, sehr viele Schläuche von der Maschine in das Anbaugerät."
"Die Gülle wird hier vor diesem Scheibensegment aufgetragen und dann von den beiden Scheiben reingearbeitet, und hinten die Rohrstabwalze drückt den Boden nochmal ein Stückchen fest, um Verdunstung zu reduzieren und geruchliche Emissionen zu reduzieren."
"Thema Hightech: Wir stehen ja nicht umsonst hier an der Maschine. Sie sagten mir im Vorgespräch, dass es eine der modernsten Maschinen sei, die Sie überhaupt im Maschinenpark haben. Nun haben wir gerade festgestellt, von außen sieht sie ein bisschen rau aus. Was macht denn die Maschine so besonders?"
"Das was die Maschine besonders macht ist, dass beim Einfüllen des Tanks aus den Transportfässern die Gülle analysiert wird. Wir sehen hier eine gelbe Box, die hier seitlich angebracht ist, wo die Gülle im Prinzip nach Stickstoff, Phosphor und Kalium analysiert wird. Das kriegt der Fahrer angezeigt. Also er weiß sozusagen, welchen Nährstoffgehalt die Tankladung, die er gerade eben eingesaugt hat, aufweist. Und wenn wir ihm dann vom Büro aus Streukarten vorgeben, die dann auch per USB-Stick übertragen werden in die Maschine, dann regelt die Maschine die Ausbringmenge entsprechend des von uns im Vorhinein definierten Nährstoffbedarfes auf der Fläche."
Festinstallierte Sensoren haben sich nicht bewährt
Den Erfolg der bodengerechten Ausbringung können Michael Polster und Kollegen spätestens bei der Ernte anhand des Ertrags messen. Dann erfassen die Mähdrescher schon während des Erntevorgangs Quadratmeter-genau, wie viele Früchte in welcher Qualität geerntet werden - egal ob Klee, Heu, Weizen, Mais oder andere Ackerfrüchte. Mit der Sensorik in Landmaschinen ist es aber nicht getan; die müsse rasch erweitert werden, urteilt Thomas Herlitzius.
"Wir haben schon viele maschinenbasierte Sensorik heute. Wir sprechen in Zukunft über stationäre, feldstationäre Sensorik."
Die Installation von teuren Sensoren auf den Feldern hat sich dabei als Holzweg erwiesen. Stattdessen setzen die Wissenschaftler jetzt auf ortsunabhängige Sensoren. Ralf Kalmar:
"Die Idee, die wir auch bei uns im Leitprojekt mitverfolgen, ist, dass man einen Roboter auch beauftragen könnte, diese Messungen vorzunehmen, beispielsweise dass man gar nicht Sensorik fest verbaut, sondern dass eine kleine mobile Plattform, die mit der Sensorik ausgestattet ist, über das Feld fährt oder zwischen den Reihen fährt und entsprechend Pflanzenzustand, Bodenfeuchte, Bodenqualität und ähnliche Daten aufnehmen kann, was auch den Vorteil hätte, dass ich die Sensorik nur einmal brauche und diese dann mobil automatisch über das Feld geführt wird."
"Crop Sensor" der Firma Claas auf der Agritechnica 2017
Der "Crop Sensor" der Firma Claas ermittelt online und teilflächenspezifisch den optimalen Stickstoffbedarf der Pflanzen. (imago stock&people)
Daneben kommen auch Drohnen zum Einsatz, schon heute. Kalmar:
"Drohnen, die bestimmte Luftaufnahmen von Feldern vornehmen oder aber auch sogar gezielt Nützlinge ausbringen, um Schädlinge zu bekämpfen. Ein Landwirt wird nicht sich eine Drohne kaufen und diese betreiben, sondern er wird einen Dienstleister beauftragen, der für ihn ein Luftbild beispielsweise bringt, wo er dann erkennen kann, wie ist das Wachstum auf meinen Feldern. Das macht er vom Schreibtisch aus."
Mobile Internetabdeckung bislang lückenhaft
Zumindest, wenn die Verbindung stimmt. Manchmal freuen sich Landwirte wie Michael Polster schon über schwachen Funkkontakt:
"Das größte Problem dabei ist wirklich die Netzabdeckung. Wir haben ja an vielen Orten LTE, an manchen Orten haben wir aber gar kein mobiles Internet. Das ist leider noch so und deswegen freuen wir uns natürlich auf 5G."
Eine von noch etlichen Herausforderungen bei der Digitalisierung der Landwirtschaft. Und so sind einige der ziemlich weitgehenden Anwendungsszenarien für viele Landwirte noch reine Zukunftsmusik. Entsprechend warnt denn auch der Agrarwissenschaftler Herlitzius:
"Wir überschätzen die Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz in der landwirtschaftlichen Produktion, weil wir überschätzen die tatsächliche Verfügbarkeit von Daten. Die ist nämlich sehr schlecht und sehr gering. Gerade weil die Prozesse des Datentransfers eben erst jetzt ans Laufen kommen und Daten sehr singulär vorhanden sind, sehr lokal, nicht zugreifbar, überhaupt nicht standardisiert. Wenn ich heute wirklich mal so die ganz gewaltige künstliche Intelligenz über meine Landwirtschaft laufen lassen wollte, die würde gnadenlos scheitern, weil sie gar nicht genügend verfügbare Daten hat. Und das wird auch nicht so schnell funktionieren. Das ist nicht unser Grundproblem."
Kurskorrektur bei der Agrarpolitik
Das Grundproblem liegt in der Regulierung der Datenströme. Hier muss der Gesetzgeber sicherstellen, dass der Landwirt die Oberhoheit über seine Daten behält und keine Abhängigkeiten entstehen. Thomas Herlitzius, und nicht nur er, fordert sehr weitgehende Regulierungen durch den Gesetzgeber. Dann sind vielleicht auch Bio-Landwirte wie Hans-Werner Lünemann bereit, in die digitale Landwirtschaft zu investieren. Hier hat die Bundesregierung mit ihrem Digital-Farming-Programm der Jahre 2012 bis 2016 viel Vertrauen verspielt. Mit ihrer einseitigen Bevorzugung der Landwirtschaftscloud, die Abhängigkeiten für den Landwirt schafft, hat sie falsche Akzente gesetzt. Doch dieser Kurs wurde mittlerweile korrigiert. Neutrale Datendrehscheiben und genossenschaftliche Nutzung von digitaler Infrastruktur können wichtige Impulse geben für eine Landwirtschaft, die mit weniger Dünger und weniger Schädlingsbekämpfungsmitteln die besseren Kartoffeln produziert.