Donnerstag, 28. März 2024

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Edward Snowden im Dlf-Interview
Was wäre die Gesellschaft ohne Whistleblower?

2013 ging Edward Snowden mit geheimen Dokumenten an die Öffentlichkeit, die eine massenhafte Überwachung durch US-amerikanische Geheimdienste enthüllte. Im Dlf kritisierte er, dass es für Quellen investigativer Recherche immer schwieriger werde. Sein Leben im Exil zeige, welche Konsequenzen die Entscheidung mit sich bringe.

Edward Snowden im Gespräch mit Stefan Fries und Stefan Koldehoff | 16.09.2019
Edward Snowden blickt im halbdunkel und im Halbprofil stehend links am Betrachter vorbei.
Der Whistleblower Edward Snowden (S. Fischer Verlage)
"Ich weiß nicht, wie ihr euer Audio aufnehmt, aber da ist noch eine Session – es ist also noch jemand in diesem Chat-Raum." So starten Stefan Koldehoff und Stefan Fries das Interview mit Whistleblower Edward Snowden: Die Dlf-Redakteure haben sich über ein Video-Konferenz-Tool mit Snowden verabredet. Eigentlich sollte dieser Chatraum niemandem bekannt sein. Für den Notfall wurde ein zusätzlicher Laptop aufgebaut – ist das der dritte Teilnehmer neben dem ehemaligen Geheimdienst-Mitarbeiter und den Redakteuren? Oder wer ist da noch? Und wo ist die Grenze zwischen Vorsicht und Verfolgungswahn? Zur Sicherheit startet der Deutschlandfunk eine neue Verbindung – nur Snowden und die beiden Dlf-Journalisten.
Der Whistleblower Edward Snowden im Interview mit dem Deutschlandfunk
ENGLISH VERSION: Dlf-Interview with Edward Snowden - What would a society be without whistleblowers?
In 2013 whistleblower Edward Snowden leaked highly classified information from the National Security Agency (NSA). In conversation with the Dlf he criticised that life for whistleblowers is getting harder. There were very few people who would be willing to take the risks.
"Ich kann nicht darüber sprechen, mit wem ich in Kontakt bin oder nicht"
2013 ging Edward Snowden mit streng geheimen Dokumenten an die Öffentlichkeit, die eine massenhafte Überwachung durch unter anderem US-amerikanische Geheimdienste enthüllte. Seitdem ist viel Zeit vergangen, die Technik hat sich immens weiterentwickelt. Und damit auch die Möglichkeiten. "Ich kann natürlich nicht darüber sprechen, mit wem ich in Kontakt bin oder nicht. Das wäre natürlich auch sehr gefährlich für diejenigen Menschen und für ihre Karriere. Was ich aber schon sagen kann, ist, dass die Programme in einem konstanten Wandel sind. Man darf sich die Geheimdienste nicht so vorstellen… man muss sich vorstellen, dass sie ein Lagerhaus voller Geräte sind. Und wenn jemand dann sagt: Das Gerät funktioniert nicht mehr, okay. Das ist aber nicht relevant, denn sie sind eine Fabrik. Sie entwickeln immer neue Methoden der Überwachung und die werden immer effizienter", sagt Snowden. Die Programme würden sich ändern, das Prinzip bliebe aber das gleiche: Es gebe bei jeder Kommunikation einen Absender und eine Zielperson.
Die englische Version als Audio finden Sie hier
Die einfachste Möglichkeit sei es, eine Unterhaltung irgendwo auf dem Weg dazwischen abzufangen. Wenn die Kommunikation verschlüsselt ist, gebe es immer noch verwertbare Metadaten wie eben das Ziel. Ein Brief müsse ja auch eine eindeutige Adresse haben, damit er zugestellt werden kann, erläutert der ehemalige CIA-Mitarbeiter. "Oder die Geheimdienste sagen: Sie hacken einfach das Handy. Dann brauchen sie das nicht entschlüsseln, denn sie können einfach den Schüssel klauen und diese Nachrichten auch enträtseln und lesen." Übertragen würden diese Informationen über die großen Konzerne wie Google, Facebook, Apple, Microsoft, Amazon und Co. Den Überwachungsmöglichkeiten stünden damit Tür und Tor offen:
"Wir sollten niemandem vertrauen - keiner Regierung mit solcher Macht"
"Wenn Sie in Deutschland sind und die US-Regierung möchte etwas aus Ihrer Email-Inbox lesen, dann brauchen sie nicht zum Gericht gehen. Sie brauche keine Namen, keine Beschlüsse. Sie können einfach mit diesem Beschluss sagen: Okay, wir möchten alles wissen, was jemals bei Google eingegeben wurde, was jemals bei Gmail war, auch wenn Sie es gelöscht haben, überall wo Sie mit Ihrem Handy waren, alles was Sie bei Google Maps eingegeben haben, alles was Sie haben, und das passiert ganz geheim. Und ich würde sagen, dass das grundsätzlich sehr gefährlich ist."
Der Whistleblower Edward Snowden im Interview mit dem Deutschlandfunk
Edward Snowden im Interview mit dem Deutschlandfunk (Deutschlandradio/ Jens Becker)
Seine Schlussfolgerung: "Wir sollten niemandem vertrauen, aber wirklich keiner Regierung mit solcher Macht. Wir würden gerne glauben, dass die US-Regierung ein Verfechter der liberalen Welt ist, aber ich sehe das gefährdet."
"Eine uninformierte Gesellschaft kann keine informierten Wahlentscheidungen treffen"
Auch die Öffentlichkeit an sich sieht Snowden in Gefahr: Journalismus würde häufig die Geschichten produzieren, die die Menschen wollen – und nicht die Informationen, die die Menschen brauchen. "Eine uninformierte Gesellschaft kann keine informierten Wahlentscheidungen treffen." Und für die Quellen investigativer Recherche würde es auch immer schwieriger.
NSA-Whistleblower Edward Snowden bei einer Videokonferenz mit dem Europarat in Straßburg.
Snowden in Russland - Der Whistleblower und der Kreml
Vor fünf Jahren bekam Edward Snowden Asyl in Russland. Seitdem lebt der Whistleblower abgeschirmt von der Öffentlichkeit und führt ein unauffälliges Leben. Aber für den Kreml habe Snowden bis heute einen immensen politischen Nutzen, sagt Russland-Expertin Gesine Dornblüth im Dlf.
"Julian Assange – ob man ihn mag oder nicht – hat einige der Geschichten mit der größten Wirkung der letzten zehn Jahre produziert. Und die Regierung versucht, ihn in den Knast zu werfen." Investigativer Journalismus beruhe auf der Vertraulichkeit zwischen Quelle und Reporter. Wenn man als Journalist aber nicht sicherstellen könne, dass man als Quelle aus Regierung oder Wirtschaft mit ihnen reden könne, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen, ohne dass das ihr Leben ruinieren würde oder man den Rest des Lebens im Exil verbringen müsse, wer würde dieses Risiko eingehen? "Dann würde die Öffentlichkeit in dem Moment ohne Whistleblower dastehen, wo sie am meisten benötigt werden."
Und das sei auch der traurige Aspekt seiner eigenen Geschichte: "Welches Signal sendet das an die Zukunft? Wenn der nächste Whistleblower denkt, dass der einzige Platz, an dem ein amerikanischer Dissident gehört wird, außerhalb von Europa oder den USA liegt? Ich glaube aber, dass dieser Status Quo nicht für immer so bleibt."
Die Deutschlandfunk-Redakteure Stefan Koldehoff und Stefan Fries im Gespräch mit dem US-Whistleblower Edward Snowden.
Die Deutschlandfunk-Redakteure Stefan Koldehoff und Stefan Fries im Gespräch mit dem US-Whistleblower Edward Snowden. (Deutschlandradio/ Jens Becker)
Snowden: Auftritte müssen der Öffentlichkeit Mehrwert bringen
Wenn er sich dazu entschließe, sich öffentlich zu zeigen, müsse das immer der Öffentlichkeit dienen und nicht ablenken. Deswegen habe er 2013 auch sechs Monate lang keine Interviews gegeben. "Wenn ich jeden Tag in den Nachrichten aufgetaucht wäre, dann wäre es noch einfacher für die Regierungen zu sagen: 'Wir möchten jetzt nicht über Überwachung, über Menschenrechtsverstöße sprechen, sondern über diese Person." So laufe Propaganda - ob von Regierungen oder Konzernen - immer ab, so Snowden. Er wolle aber niemandem sagen, wie er zu leben habe.
Dass CDU-Politiker seinen Wunsch nach Asyl in Deutschland ablehnen, überrascht Snowden nicht. Er sagte: Die bekannteste Position der CDU sei, keine Position zu beziehen. Er verwies darauf, dass die Politiker von falschen Voraussetzungen ausgingen, was seine mögliche Strafverfolgung in den USA angehe. In den USA erwarte ihn kein faires Verfahren, weil das ein Anti-Spionage-Gesetz von 1918 verhindere. Danach dürfe er sich nicht in einem öffentlichen Prozess vor einer Jury verteidigen. Statt eines ordentlichen Strafverfahrens drohe ihm politische Verfolgung.
Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Mathias Middelberg, hatte zuvor keinen Zweifel daran geäußert, dass Snowden ein rechtsstaatliches Verfahren bekomme. Der CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt sagte, der Verrat von Staatsgeheimnissen in jedem Land der Welt strafbar sei. Snowden sei kein Held, er habe die Sicherheit seines Landes gefährdet. Snowden bestreitet das: Die USA hätten seit 2013 keinen Schaden durch seine Enthüllungen geltend gemacht.
Der US-amerikanische Whistleblower und ehemalige CIA-Mitarbeiter Edward Snowden spricht am 21.03.2017 bei der IT-Messe CeBIT in Hannover (Niedersachsen) auf einer Videowand. Die IT-Messe CeBIT will ihr Fachpublikum mit konkreten Anwendungsbeispielen für neue Technologien überzeugen. Zu der fünftägigen Veranstaltung (20.-24. März) mit über 3000 Ausstellern aus 70 Ländern werden rund 200000 Besucher erwartet. Partnerland ist Japan.
Whistleblower - Unentbehrlich, aber ungeschützt
Für die einen sind sie Helden, für die anderen Verräter. Ohne Hinweisgeber, die interne Unterlagen weitergeben, würden Skandale nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Doch nicht wenige Whistleblower geraten im Zuge dieser Aufdeckungen selbst unter die Räder.
Der ehemalige US-Geheimdienstmitarbeiter war damals zunächst nach Hongkong geflogen, von wo aus er mit Hilfe von Medien die massenhafte Speicherung von Kommunikationsdaten durch die USA öffentlich gemacht hatte. Während seines Weiterflugs nach Moskau annullierte sein Heimatland seinen Pass, so dass er nicht weiterreisen konnte. Kurz darauf gewährte Russland Snowden ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht. Er lebe dort zusammen mit seiner Frau ein halbwegs normales Leben, sagte Snowden: "Ich bin in meiner Wohnung in Moskau, die ich selber miete. Es gibt natürlich Verschwörungstheorien da draußen, viele Menschen denken, ich würde in einem Bunker leben, mit Sicherheitsleuten und dass ich unter einem Decknamen lebe. Aber das stimmt einfach nicht."

Das komplette Interview zum Nachlesen

Edward Snowden: Ich habe jetzt nur eine kurze Frage, eine technische Frage. Ich weiß nicht, wie Sie das aufzeichnen, ich sehe aber, dass sonst noch jemand verbunden ist mit dem Chatraum. Wenn Sie auf der rechten Seite des Bildschirms sehen, sehen Sie ja, es gibt eine Session ohne Kamera, ohne Mikro, einfach ein Licht. Das ist also nicht von Ihnen? Das ist auch nicht von der Regie? Es ist noch jemand da.
Deutschlandfunk: Ja, wir haben einen zweiten Weg aufgebaut, falls wir technische Probleme hatten. Wir hatten eine also eine erste Verbindung und eine zweite vom Laptop. Ist es Ihnen lieber, wenn wir den Weg schließen, oder ist es okay?
Snowden: Nein, das ist okay. Aber ich habe gestern auch ein solches Interview gemacht, und da war noch jemand und das war nicht vom Regieraum, von daher.
Deutschlandfunk: Herr Snowden, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben. Wie können wir uns sicher sein, dass wir wirklich mit Edward Snowden sprechen? Es gibt gefälschte Videos da draußen. Gibt es denn Beweise dafür, dass Sie es wirklich sind?
Snowden: Nun ja, das ist eine der Kernfragen, die wir uns heutzutage stellen müssen: Wie können wir etwas prüfen, dass es wirklich authentisch ist? Wie können wir Dokumente auf ihre Authentizität prüfen oder unsere eigenen Persönlichkeiten? Und ich glaube, das, was so wichtig im Jahre 2013 war, war halt nicht, dass es Ansprüche oder Vermutungen einer Einzelperson waren. Nein, das waren Dokumente, das waren Unterlagen von der Regierung selbst. Das waren interne Informationen von hinter den Kulissen. Und erst als die Regierung wirklich anerkannt hat, dass diese Unterlagen, diese Dokumente wirklich authentisch waren, sie haben das nie bezweifelt, sie haben es eigentlich bestätigt, denn sie haben mich auch angeklagt, sie haben behauptet, dass ich eine Straftat begangen hätte. Und, ja, was unser Gespräch angeht, Sie sehen mich live. Ich glaube nicht, dass wir die Fähigkeit haben, Deep-Fake-Video live zu machen. Sie haben aber auch mit meinen Verbündeten gesprochen: Das sind Menschen, denen ich vertraue, das sind Anwälte, meine Agenten, meine Manager.
Snowden und Co. - Whistleblower zwischen Verrat und Zivilcourage
Whistleblower wie Edward Snowden werden verehrt wie Popstars. Doch sie gehen ein rechtlich extrem hohes Risiko ein. Experten raten daher, speziell für Deutschland, vom Whistleblowing ab. Und auch die Forschung zeigt: Nur jeder Zehnte, der einen Missstand beobachtet, wird tatsächlich zum "Aufdecker".
Deutschlandfunk: Dürfen wir wissen, wo Sie sich genau aufhalten? Oder möchten Sie das lieber nicht offenbaren?
Snowden: Ich bin in meiner Wohnung in Moskau. Das ist eine sehr gute Frage. Es gibt natürlich Verschwörungstheorien da draußen. Viele Menschen denken, ich würde in einem Bunker leben mit Sicherheitsleuten, dass ich unter einem Decknamen lebe. Aber das stimmt einfach nicht. 2013 war ich deutlich vorsichtiger, aber ich hatte niemals Sicherheitsleute. Ich war immer alleine, denn ich wollte mit keiner Regierung zusammenarbeiten. Ich habe meine Loyalitäten nicht verändert. Meine Loyalität gilt heute immer noch dem amerikanischem Volk. Aber eine der Herausforderungen heutzutage, gerade wo wir sehen, dass die Regierungen immer hungriger werden, was Totalitarismus angeht, ist auch Patriotismus, was das wirklich heißt. Es sind so viele Menschen, die Patriotismus mit Nationalismus verwechseln. Es sind so viele Menschen, die es mit der Zerstörung eines fremden Feindes verwechseln oder mit einem Gegner im eigenen Land, mit einer anderen Gruppe. Aber das ist nicht das, was Patriotismus heißt. Es geht nicht um die Liebe für das Land. Das ist eine Verwechselung. Patriotismus geht nicht um die Liebe der Regierung. Es geht darum, dass man das eigene Volk, das eigene Land schätzt. Es geht um Gesellschaft, um Gemeinschaft. Und wenn Sie mich fragen, was ich mache, wo ich lebe: Ich lebe hauptsächlich im Internet heutzutage. Aber ich werde meinem Volk immer treu sein.
Deutschlandfunk: Wir haben gerade vom Techniker gehört, dass der zweite Teilnehmer nicht unser Laptop ist.
Snowden: Okay. Das können wir sehr schnell lösen, wenn Ihr Techniker auch zuhört, ja?
An dieser Stelle kappen wir die Verbindung und bauen eine neue auf.
Snowden: Okay. Entschuldigen Sie, das war sehr außergewöhnlich. Das kam erst in den letzten Tagen so vor.
Deutschlandfunk: Okay, also erleben Sie das nicht so häufig, erst seitdem Sie wieder Interviews geben?
Snowden: Ja, mit diesem System. Natürlich wurde ich schon mal überwacht und das in den letzten Jahren. Aber hier war es etwas außergewöhnlich. Es war einfach so offensichtlich, dass da jemand Drittes im Raum war, wo wir ein Interview geführt haben. Sie haben einfach kein Mikro, keine Kamera aktiviert. Wir sehen und hören sie nicht, aber sie sehen und hören uns, das ist sehr ungewöhnlich.
Deutschlandfunk: Aber werden Sie überwacht? Haben Sie eine Vermutung, dass es eine Überwachung gibt, die Sie nicht wirklich identifizieren können?
Snowden: Also in meinem Leben bin ich absolut sicher, dass ich ein Ziel von allen großen Geheimdiensten bin, denn sie werden sich immer für meine Aktivitäten, meine Pläne, meine Vorhaben interessieren. Es ist typisch, dass sie darüber berichten, über alle Menschen, die als interessant gelten, alle Menschen, die auch ermitteln, was die Geheimdienste machen, denn sie möchten nicht, dass die Öffentlichkeit weiß, was sie machen. Und wie gehen Sie also damit um? Also man kann das machen, was alle machen würden, nämlich Geräte verwenden, die vielleicht etwas sicherer sind, Kommunikationswege verwenden, die etwas sicherer sind, auch End-to-end-Verschlüsselung, also nichts über das Internet unverschlüsselt schicken, dass man also etwas wie das Tor-Netzwerk benutzt, also keine Kurznachrichten schicken, denn sie sind einfach ungeschützt. Und da sieht man einfach den Kommunikationsweg, da ist man elektronisch nackt sozusagen, unverschlüsselt. Und alle Kommunikation heutzutage kann auch verschlüsselt ausgeführt werden. Emails sollten wir eigentlich gar nicht mehr verwenden. Wir haben sichere, privatere Alternativen. Es ist also eher die Frage, weshalb irgendjemand noch Emails verwendet, wenn wir viel sicherere Alternativen haben.
Deutschlandfunk: Da kommen wir etwas später darauf, über Verschlüsselung zu sprechen. Es gibt einen Anlass für dieses Interview. Sie veröffentlichen ein Buch, das kommt am Dienstag dann raus. Welche anderen Gründe haben Sie, jetzt öffentlich aufzutreten oder an einer Konferenz teilzunehmen? Also meine Hauptfrage ist, ob es der Öffentlichkeit was nutzt.
Snowden: Ich versuche nicht zu sprechen, wenn es ablenken sollte von anderen wichtigen Sachen. Deshalb habe ich beschlossen, 2013, als die ganze Welt mich interviewen wollte, habe ich gesagt: Nein, ich werde kein Interview geben. Sechs Monate lang habe ich kein Interview gegeben, erst im Juni habe ich ein Interview gegeben, und danach erst, nachdem die Reform eingeführt wurde. Und der Grund dafür war: Wenn ich in den Nachrichten jeden Tag aufgetaucht wäre, dann wäre es noch einfacher gewesen für die Regierung zu sagen: ‚Okay, wir möchten jetzt nicht über Überwachung sprechen, wir möchten jetzt nicht über Menschenrechtsverstöße sprechen. Lassen Sie uns jetzt über diese Person sprechen. Ist er nicht etwas komisch? Sollten wir ihn nicht verachten?‘ Und das ist das, was ich eher sehe bei der Propaganda, ob von der Regierung oder von Konzernen. Wenn sie es schaffen, dass die Menschen die falschen Fragen stellen, müssen sie sich nicht um die Antworten sorgen.
Deutschlandfunk: Aber bereits 2013 haben Sie gesagt, dass Sie nicht die Geschichte sind. Jetzt haben Sie aber ein Buch über sich selbst geschrieben. Jetzt sind Sie diese Geschichte. Warum haben Sie Ihre Meinung geändert hier?
Snowden: Ja, es geht nicht ausschließlich um meine Person, und deshalb ist dieses Buch besonders. Natürlich erzählt es meine persönliche Geschichte, denn alle Menschen, auch Sie, möchten einen Charakter haben, dadurch kann man Aufmerksamkeit erzeugen. Es gibt Menschen, die sich immer noch für meine Geschichte interessieren. Also ich versuche, mit Hilfe meiner Geschichte zwei Geschichte zu erzählen. Natürlich ist es die Geschichte von mir, von einem normalen Menschen. Aber es ist auch eine Geschichte eines Zeitalters, eine Geschichte eines Wandels, ein Wandel von dem frühen Internet, da ging es um Kooperation, und das Internet von heute, da geht es um Konkurrenz. Und die Geheimdienste, für die ich dann nach 9/11 gearbeitet habe, und das war ein Zeitalter, währenddessen die amerikanische Regierung ihre Kernaufgaben etwas außer Sicht verloren hat, da ging es um zielgerichtete Überwachung: "Wir glauben, dass dieser Mensch Spion ist. Wir möchten ihre Kommunikation abhören. Wir werden dieses Unternehmen ausspionieren vielleicht." Aber damals ging es nicht um ein ganzes Land, es ging nicht um eine ganze Bevölkerung. Aber nach 9/11, mit dieser Panik, mit der Angst, die eigentlich nicht weg ist, sehen wir, dass viele Regierungen, nicht nur meine Regierung, diese Werte jetzt vernachlässigen. Sie sind nicht mehr so zurückhaltend. Sie leben jetzt keine freie, offene Gesellschaft mehr. Sie haben das mit etwas anderem ersetzt, nämlich Kontrolle und Überwachung. Worum geht es bei der Überwachung? Es geht nicht um die öffentliche Sicherheit. Da ging es nie darum. Es geht um Kontrolle, es geht darum, dass die Regierungen vorhersehen können, was passieren wird, welche Ergebnisse es geben wird. Und jetzt gehen wir in Richtung Bulk Collection, das ist ein Euphemismus für mass surveillance, Massenüberwachung. Und das ist der wichtigste Wandel für mich, was die Geheimdienste anbelangt.
Deutschlandfunk: Wäre das alles passiert ohne 9/11? Wäre das nicht auch aller mit den neuen technologischen Entwicklungen zustande gekommen?
Snowden: Das ist eine schwierige, aber durchaus interessante Frage. Es hätte auf jeden Fall Druck gegeben, denke ich. Wir wissen, dass die Regierung in meinem Land solche Programme bereits vorgeschlagen hatten intern. Und das berühmt-berüchtigte Patriot Act war ja eigentlich schon geschrieben, vor den Angriffen am 11. September. Aber das Problem für die Regierung war, dass sie glaubten, dass sie niemals die nötige Unterstützung bekommen würden, denn es war einfach zu eindringend. Aber es gab immer Bemühungen in diese Richtung. Es war aber immer die Frage, ohne einen Moment nationalen Traumas, ohne eine nationale Krise, hätte die Regierung das jemals geschafft, auch nur zu versuchen, das zu verabschieden? Ich weiß nicht, ob das wirklich der Fall ist. Ich weiß nicht, ob das so zustande gekommen wäre. Wenn wir die strukturellen Veränderungen in der Regierung sehen, sehen wir, dass es opportunistisch ist. Sie reagieren auf eine öffentlich wahrgenommen Angst. Und das nimmt die Regierung dann auf, um ihren Einflussbereich zu erweitern.
Deutschlandfunk: Jetzt wollen wir über Ihr Buch sprechen. Sie haben alle Dokumente, alle Informationen bereits an Journalisten gegeben, bevor sie in die Maschine nach Moskau eingestiegen sind, sie wollten ja eigentlich nach Ecuador fliegen. Sie haben alles an die Journalisten gegeben. Sie haben Ihre Festplatten zerstört. Dennoch schreiben Sie sehr detailliert über einige Ereignisse, über Menschen, über Strukturen. Sie haben mit Sicherheit ein großartiges Gedächtnis.
Snowden: Nun ja, ich schreibe bereits seit sechs Jahren. Das war aber nicht in Buchform die ganze Zeit. Aber ich habe über diese Themen sehr lange gesprochen, das war ja mein Einkommen. Also ich hatte sehr viele Notizen über die Vorkommnisse und Ereignisse. Das waren aber keine geheimen, vertraulichen Informationen. Das ist einfach die Geschichte der Welt, das was geschieht. Es ist einfach mein persönliches Gedächtnis.
Deutschlandfunk: Sind Sie denn noch auf dem Laufenden bezüglich der Aktivitäten der NSA und der Geheimdienste? Können Sie noch Daten lesen? Können Sie sich noch mit Menschen austauschen, oder ist das nicht mehr möglich?
Snowden: Ja, ich kann natürlich nicht darüber sprechen, mit wem ich in Kontakt bin oder nicht. Das wäre natürlich auch sehr gefährlich für diejenigen Menschen und für ihre Karriere. Was ich aber schon sagen kann, ist, dass die Programme in einem konstanten Wandel sind. Die Fähigkeiten werden nach und nach zerstört und neue werden entwickelt, das ist das, was die Geheimdienste machen. Man darf sich die Geheimdienste nicht so vorstellen… man muss sich vorstellen, dass sie ein Lagerhaus voller Geräte sind. Und wenn jemand dann sagt: Das Gerät funktioniert nicht mehr, okay. Das ist aber nicht relevant, denn sie sind eine Fabrik. Sie entwickeln immer neue Methoden der Überwachung und die werden immer effizienter. Und wenn die Programme sich verändern im Laufe der Zeit, sind die Prinzipien immer die gleichen.
Und darum geht es in einem großen Teil im Buch, und das war im Laufe meiner Karriere, das, was ich verstanden habe. Es gab ja manche Sachen, die vielleicht nicht so interessant waren, zum Beispiel die Entwicklung eines neuen Backup-Systems, zum Beispiel wenn es einen Brand gibt. Das ist aber alles Teil eines viel größeren Systems. Und wenn man das große Ganze versteht, dann versteht man auch, wie das ganze Getriebe funktioniert, wie alles zusammenkommt, um eine Maschinerie herzustellen. Und das ist das, was konstant ist.
Denn es gibt manche Sachen, es gibt ja eine begrenzte Möglichkeit, wie man uns überwachen kann. Und egal, wie Kommunikation übertragen wird, es gibt immer einen Ursprung und ein Ziel. Es kommt ja immer irgendwo her und es kommt immer irgendwo an. Und wenn man sich irgendwo auf diesem Weg befindet, kann man das sammeln. Und man kann das nur umgehen, wenn man verschlüsselt. Aber nichtsdestotrotz gibt es dann auch Metadaten, aber da komme ich später noch mal darauf zu sprechen. Es gibt ja viele technische Details hier.
Aber der Zustand heute, wenn eine Regierung oder ein Krimineller oder ein Konzern jemanden ausspionieren möchte, sie möchten eine Kopie der Kommunikation, es gibt viele Quellen, aber am einfachsten, am günstigsten geht es heutzutage auf dem Weg der Übertragung im Internet oder im Telefon, wenn es nicht unverschlüsselt ist, wenn es nackt ist sozusagen. Man kann die Telekommunikationsunternehmen einfach darum bitten, man kann im selben WLAN-Netzwerk bei Starbucks sein, das kann man abfangen. Wenn man das verschlüsselt, ist es nicht mehr wirklich, dass die Inhalte gelesen werden können, aber die Kommunikation wird noch gesehen. Es gibt trotzdem noch Information, dass die übertragen wurde.
Denken Sie an einen Brief: Sie können den Brief in einen Umschlag tun, aber man braucht trotzdem noch eine Anschrift. Das ist also der Weg der Übertragung, und dann hat man auch die Ziele der Kommunikation. Und da sehen wir, wie gegen die Öffentlichkeit gewirkt wird. Zum Beispiel Ihr Handy: Wenn sie Ihr Handy hacken möchten, sagen wir mal, ihre Kommunikationen sind alle verschlüsselt, dann sagen Sie: ‚Okay, wenn wir dieses Handy hacken, dann brauchen wir das nicht entschlüsseln‘. Denn sie können einfach den Schüssel klauen, und dann können sie diese Nachrichten auch enträtseln und lesen. Sie könnten aber genauso gut Ihren Gesprächspartner aufsuchen. Sagen wir mal, Sie sind sehr sicher unterwegs mit der Kommunikation, aber ihr Gesprächspartner ist nicht so sicher, es gibt ja immer diese beiden Punkte, das sind also die beiden Punkte, die man verfolgen könnte. Und dann drittens, wir haben also den Übertragungsweg, die Endpunkte und dann die Mittelsmänner, das sind Google, Facebook, Apple, Microsoft, Amazon, all diese Cloud-Dienstleister, oft ist es nicht möglich, etwas nur an den Gesprächspartner zu verschicken. Nein, man muss auch eine Kopie speichern. Das ist etwas, was Sie bei Facebook veröffentlicht haben, das können sie dann auswerten. Sie können Ihre Kontakte lesen, das ist eine der ersten Sachen, die gemacht werden. Wenn Sie Facebook zum Beispiel installieren, dann wird Ihr Handy einfach auseinandergenommen. Sie möchten einfach verstehen, wie die Menschen auf der Welt miteinander verbunden sind. Und das ist das, was wir bei den Regierungen beobachten. Die Regierungen sagen: Okay, warum locken wir nicht einfach diese Konzerne an, dass sie ihre Informationen mit uns teilen, dass sie mit uns zusammenarbeiten oder dass sie ihre Dienstleistungen etwas neu gestalten, dass es für uns einfacher ist. Und somit sind diese Konzerne dann zu ihren Sheriffs geworden.
Und wenn wir im internationalen Kontext sprechen, müssen wir natürlich auch bedenken, dass die meisten großen Unternehmen in den USA sind. Das sind also keine Stellvertreter der deutschen Regierung, sondern der US-Regierung, also da gibt es keine gleichen Standards. Wenn Sie in Deutschland sind und die US-Regierung möchte etwas aus Ihrer Email-Inbox lesen, dann brauchen sie nicht zum Gericht gehen. Sie brauche keine Namen, keine Beschlüsse. Sie können einfach mit diesem Beschluss sagen: Okay, wir möchten alles wissen, was jemals bei Google eingegeben wurde, was jemals bei Gmail war, auch wenn Sie es gelöscht haben, überall wo Sie mit Ihrem Handy waren, alles was Sie bei Google Maps eingegeben haben, alles was Sie haben, und das passiert ganz geheim. Und ich würde sagen, dass das grundsätzlich sehr gefährlich ist. Wir sollten niemandem vertrauen, aber wirklich keiner Regierung mit solcher Macht. Wir würden gerne glauben, dass die US-Regierung ein Verfechter der liberalen Welt ist, aber ich sehe das gefährdet.
Deutschlandfunk: Ist die Welt schlimmer geworden seit Ihren Enthüllungen 2013?
Snowden: Ja und nein. Da gibt es viele Nuancen, viele Feinheiten. Die Frage ist: Wo ist es schlimmer geworden? Wie? Wenn wir uns Deutschland anschauen zum Beispiel: Wir haben die Skandale mit dem Bundesnachrichtendienst, die deutsche Regierung hat sich auch darüber beschwert, dass sie von anderen Staaten überwacht werden, sie haben aber ihre eigenen Bemühungen erweitert, während sie gesagt haben, dass sie keine Massenüberwachung betreiben. Da geht es um die Sprache, da geht es um Semantik. Es ist anders in den verschiedenen Ländern. Ich möchte jetzt nicht Deutschland anprangern. Das haben wir in Frankreich gesehen, wir haben das im Vereinigten Königreich auch gesehen, das war der extremste Fall der modernen Demokratie, bis Australien sich dann als noch schlimmer entpuppt hat und Kanada auch. In den USA haben wir tatsächlich Reformen gesehen, die grundlegendsten seit den 70er Jahren. Aber leider heißt das nicht so viel. Das bedeutet nicht so viel. Ein Programm wurde beendet, da hat die Regierung selbst all diese Protokolle aufgenommen. Aber Obama hat ein neues Gesetz verabschiedet, und dann gab es einen neuen Rahmen. Die Regierung hat das nicht selbst gemacht, die Telekommunikationsunternehmen wurden beauftragt, dies im Namen der Regierung zu machen, zu betreiben, und dann würde die Regierung darauf reagieren. Also politisch gab es eigentlich schon einen Rückschritt, wenn wir über die Geheimdienste sprechen. Und es gibt einen Grund dafür, deshalb war das Jahr 2013 so wichtig, meiner Meinung nach. Viele der fortschrittlichsten Länder der Welt hatten ihren Glauben aufgegeben, dass es eine Aufteilung der Mächte gibt, dass man nur die Verdächtigen überwachen müsste. Insgeheim, sie hatten alle zusammengearbeitet und dieses System aufgebaut, dass alle überwacht werden konnten, egal ob sie verdächtigt wurden oder nicht, denn die Technologie hat das möglich gemacht und die Geheimhaltung hat das auch politisch möglich gemacht. Deshalb haben sie diese Systeme aufgebaut und angewendet. Und alle Menschen, die davon wussten, die gesagt haben: Nein. Die gibt es nicht, der Öffentlichkeit gegenüber, plötzlich sind ihre Rufe, ihre Karrieren gefährdet. Was machen sie also? Nun ja, sie reagieren in einer typischen Art und Weise: Sie reformieren nicht die Gesetze per se um die Menschen zu schützen, sondern auch, um sich selber zu schützen. Sie wollten also nicht, dass die Geheimdienste sich an die Gesetze halten, sondern sie haben die Gesetze umgeschrieben, damit die Geheimdienste sich nicht umstellen müssen.
Was haben wir aber davon? Ja, die neue Datenschutzverordnung der EU. Das ist ein sehr wichtiger Schritt, denn das ist das erste Mal, dass wir sehen, dass es ein Interesse gibt seitens eines großen globalen Akteurs, etwas zu ändern. Die reicht nicht aus, die ist etwas einfach, man setzt da voraus, dass man nur eine Nationalität hat und dass ein Individuum in Deutschland lebt. Es heißt ja nicht, dass die Daten nur in Deutschland sind, sie sind in Amerika, sie sind in China, sie sind überall. Und bis diese Kommissare wirklich diese Bußgelder umsetzten möchten bei Google und Facebook und so weiter, bis sie ihre Aktivitäten umstellen, bis diese Konzerne merken, dass es ernsthaft ist, dann wird dieses Gesetz nichts Grundlegendes ändern. Diese Konzerne werden weiterhin wie Partner behandelt und nicht… Ja, es gibt noch zwei Punkte. Wir haben über die Gesetze und Gesetzgebung gesprochen und die Veränderungen, die positiven und die negativen gesprochen.
Aber es gibt dann auch die Öffentlichkeit, und das ist für mich das Wichtigste. Denn ich wollte niemandem vorschreiben, wie er oder sie zu leben hat. Ich habe nicht beschlossen, dass das Gesetz so oder so sein soll. Was ich beobachtet habe, ist, dass die US-Regierung sich nicht an ihre eigenen Gesetze, an ihre eigenen Verfassung gehalten hat und das sie gegen die Menschenrechte verstoßen hat. Und deshalb verstehe ich meine Aufgabe lediglich darin, die Öffentlichkeit zu informieren. Wir leben in einer Demokratie und das Volk kann nur wählen und kann nur in einer Demokratie leben, wenn das Volk informiert ist. Und deshalb muss die Regierung für uns arbeiten. Manchmal werden aber Sachen gegen uns angewendet. Wir kontrollieren nicht die Regierung, die Regierung kontrolliert uns. Das ist das, was ich festgestellt habe, deshalb habe ich die Journalisten angesprochen. Und die Auswirkungen lassen wir jetzt erst mal beiseite. Aber vor 2013 gab es einige Forscher, einige Akademiker da draußen, die wussten, dass diese Möglichkeiten da waren. Es war nicht unvorstellbar, dass ein solches System geschaffen werden konnte. Aber es war unvorstellbar, dass unsere Regierungen diese Systeme jemals gegen Menschen anwenden würden, die nie eines Verbrechens verdächtigt wurden. Es wurde als Verschwörung von allen, Medienorganisationen, Regierungen betrachtet, und das machte uns eigentlich noch anfälliger. Das war ein Zeitraum von ungefähr zehn Jahren zwischen dem Zeitpunkt, wo die Regierung eigentlich damit angefangen hat und die Öffentlichkeit in Kenntnis gesetzt wurde Ich glaube, das ist sehr wichtig, denn das, was wir vermuten, ist sehr weit weg von dem, was wir wissen. Und genau dieser Abstand zwischen Vermutung und Fakt in einer Demokratie ist der Kernwert. Wenn wir uns nicht einig sind in dem, was wirklich passiert, wie können wir darüber reden, was passieren sollte? Und das Endergebnis der Ereignisse im Jahre 2013 war technologisch in seiner Natur. Zum Beispiel wenn wir uns die Menge der Verschlüsselung im Internet anschauen, wir haben eine Statistik aus dem Jahren 2014 zum Beispiel, wenn wir uns die globalen Internetkommunikationen anschauen, sehen wir eine enorme Steigerung der Kommunikation auf globaler Ebene, die jetzt unverschlüsselt durch die Welt reisen, sondern verschlüsselt. Vor 2013 war es ungefähr weniger als die Hälfte. Nach 2016 ist es mehr als die Hälfte. Und ich glaube, was Internetdaten angeht, heutzutage sind 80 Prozent der Daten, die verschlüsselt sind. Das ist im Kontext der Nachrichtendienstleistungen, es geht auch um die Bezahlungen, alles was die Technik angeht, wir leben also in einer sichereren Welt, in einer freieren Welt, auch wenn es keine größeren Gesetzesveränderungen gab. Aber manche Menschen versuchen, uns besser zu schützen. Nicht alle Konzerne tun dies. Manch Konzerne waren sehr aggressiv, sie wollten sich ja dadurch auszeichnen, hervorstechen, sie haben gemerkt, dass sie mit unseren Daten über unser Leben Geld verdienen können. Aber wenn wir uns die Trends anschauen, kann man, glaube ich, relativ sicher sagen, dass es keine weiteren unverschlüsselten Daten geben wird.
Deutschlandfunk: Bis 2013 haben Sie eine aktive Rolle gespielt in der Entwicklung solcher Technologien. Warum haben Sie das damals so gemacht?
Snowden: Das ist ein großes Thema im Buch. Ich habe immer noch damit zu kämpfen. Ich merke immer noch die Auswirkungen davon. Die Haupterklärung ist für mich ein Mangel an Skeptizismus. Ich war naiv. Ich habe mich immer als Patriot bezeichnet. Ich komme aus einer Familie, die für die Regierung gearbeitet hat, meine beiden Eltern haben für die Regierung gearbeitet, mein Großvater auch. So weit man weiß, war meine Familie immer, für Generationen, eine Regierungs-Familie. Und da liegt ein Fehler vor, dass man Unterstützung für Kriege mit Unterstützung für das Land verwechselt oder Unterstützung für die Regierung mit Unterstützung für das Volk verwechselt. Aber wenn man so groß wird und wenn man das einfach so als selbstverständlich nimmt, dann wird das so. Als viele Menschen gegen den Krieg im Irak demonstriert haben, bin ich zur Armee gegangen. Ich habe trainiert, ich wurde dann aber verletzt und ausgemustert. Aber ich glaube, dass man da die Fehler bei mir erkennen kann, dass ich das große Ganze nicht erkannt habe. Ich würde gerne von mir behaupten, dass ich relativ intelligent bin, aber wir haben alle Emotionen. Wir sind alle Propaganda ausgesetzt. Und für mich war es eine Frage, abzuwägen: Okay, die Menschen sagen, ja, die Iraker haben nichts mit dieser Verschwörung zu tun, es gibt keine Massenvernichtungswaffen. Aber für mich als junger Amerikaner, der in so einer Familie aufgewachsen ist, ich habe mich gefragt: Warum würden sie uns anlügen? Warum würden sie dieses Vertrauen aufopfern, dieses Vertrauen in die Regierung, für ein so kurzfristiges Spiel, für einen Krieg, wenn das anscheinend nicht nötig ist? Ich war aber absolut naiv. So wie es sich herausgestellt hat, denken unsere Regierungen nicht langfristig, sie denken oft kurzfristig.
Und erst, nachdem ich immer tiefer in die Regierung gekommen bin, nachdem ich die Leiter nach und nach hinaufgestiegen bin, erst nachdem ich zur CIA und NSA gegangen bin, nachdem ich mit diesen Systemen lange gearbeitet habe, hatte ich denn die Perspektive, hatte ich die Möglichkeit zur Selbstreflexion, dass ich mich fragen konnte: Was habe ich eigentlich mit dieser Arbeit gemacht? Was macht meine Regierung? Es hat nicht den Zweck, die Menschen zu befreien, sondern zu unterdrücken. Es ging um die Kontrolle. Es ging nicht darum, die Demokratie zu schützen, sondern leider eigentlich, die Demokratie zu gefährden im Endeffekt. Wenn wir uns unsere Werte anschauen: Wir zerstören genau das, was wir gerne schützen möchten.
Deutschlandfunk: Gab es einen Augenblick, in dem Sie beschlossen haben, dass Sie Whistleblower werden möchten?
Snowden: Es gab natürlich einige Augenblicke, und das ist auch ein Teil des Buches von Permanent Record. Es ist ein Prozess. Wenn ich meine Geschichte, meine Vergangenheit, meine Familie beschreibe, es ist so unvorstellbar, dass ich Regierungskritiker werden sollte. Und die Menschen würden gerne glauben, dass es ein Aha-Moment gab wie im Kino, dass ich ein besonderes Dokument gefunden habe. Und ich habe tatsächlich Dokumente gefunden, zum Beispiel ein Dokument über das Stellar-Wind-Programm. Das war am Anfang der Massenüberwachung der Bush-Regierung.
Und selbst nach den Enthüllungen eines Skandals, es wurde alles im Dezember 2005 veröffentlicht, aber die Presse, zum Beispiel die "New York Times", die größte Zeitung der USA, die "New York Times" hatte die Geschichte und sie hätten diese Geschichte, diesen Artikel veröffentlichen können, sie hätten öffentlich gehen können, dass George Bush gegen die Verfassung verstoßen hat. Aber das Verlagshaus, Arthur Sulzburger von der "New York Times" haben einen Anruf vom Weißen Haus bekommen, von George Bush und seinem Personal, und sie haben gesagt, wenn sie diesen Artikel veröffentlichen, werden Menschen sterben. Und sie haben diesen Artikel nicht veröffentlicht, denn sie hatten Angst. Sie wussten, dass es wahrscheinlich nicht wahr war, aber sie, so wie ich, hatten solche Zweifel und sie hatten keine Gewissheit, und deshalb haben sie gewartet.
Und George Bush wurde wiedergewählt mit einer sehr kleinen Marge. Und wenn sie diesen Artikel veröffentlicht hätten, dann hätten wir eigentlich John Kerry gehabt als Präsident und nicht George Bush. Und ich glaube, dass wir das alle übersehen haben. Wenn ich eine Selbstkritik habe, mit der ich wirklich zu kämpfen habe, ist es, dass ich mir wünschen würde, dass ich das früher gesagt hätte. Ich wünschte, ich hätte das während der Bush-Regierung gesagt, obwohl ich das damals nicht wusste, denn ich glaube, man hätte das ändern können.
Barack Obama war so beliebt als Präsident, dass selbst, als er einige der schwierigsten Gesetze der Bush-Regierung erweitert hat, konnte er sich einfach entschuldigen, sich verzeihen und die Gesetze etwas umändern und dann einfach weitermachen. Ich frage mich, ob wir vielleicht mehr Widerstand erleben werden unter Donald Trump. Und das habe ich 2017 bereits gesagt: Selbst wenn man Vertrauen in die eigene Regierung hat, ich rede jetzt nicht von den USA, sollte man immer im Hinterkopf behalten, dass man immer nur einen Schritt von der Selbstzerstörung entfernt ist. Die Finger sind immer auf den Knöpfen. Wir wissen, dass wir das eigentlich nicht anwenden sollten, aber wenn die Regierung sagt: Ja, es gibt eine neue Bedrohung, die Begebenheiten sind anders, dann könnten sie das machen. Und wenn es soweit ist, dann werden wir keine Möglichkeit haben, da zu widerstehen. Das ist die Gefahr der Massenüberwachung: Wir verlieren die Möglichkeit, zu wissen, ob sie alles über uns wissen.
Deutschlandfunk: Sie haben oft über den Journalismus gesprochen in Ihren Antworten. Ich habe über Ihr Buch gesprochen und ich hatte das Gefühl, dass Sie sich Sorgen machen um die Zukunft des freien Journalismus. Warum empfinden Sie das so? Und was könnte man da machen? Wovor haben Sie denn da Angst? Wir haben über die Verschlüsselung gesprochen. Ich muss zugeben, dass ich nicht von vielen Kollegen weiß, die Verschlüsslung benutzen. Es sind die normalen Email-Systeme, es sind WhatsApp und so weiter. Ist das gefährlich für den Journalismus?
Snowden: Nun ja, wenn wir von Verschlüsslung sprechen: Sie verwenden alle Verschlüsslung, Sie wissen es nur nicht. Aber jedes Mal, wenn Sie auf einer Webseite sind mit https oder mit einem Hängeschloss, das ist verschlüsselt. Wenn Sie WhatsApp verwenden, das ist auch verschlüsselt. Das Problem aber mit Apps wie WhatsApp ist, dass es eigentlich als sehr sicher verschlüsselt konzipiert wurde wie Signal, aber danach, weil WhatsApp so gut war, hat Facebook diese App aufgekauft. Und nach und nach, ungefähr quartalsweise, wird die Sicherheit dieser App abgebaut.
Also, wenn wir über unabhängigen Journalismus sprechen und die Bedrohungen, kommen diese Bedrohungen aus verschiedenen Richtungen. Ich sehe in den USA einfach, dass immer mehr Medien unternehmerisch handeln. Wenn alles umsonst weggegeben wird, ist das problematisch. Deshalb haben sie jetzt ein Überwachungsmodell, ein Werbemodell kreiert, wo sie wirklich große Hoffnung haben. Aber die Menschen, die diese Werbungen schalten möchten, sind Facebook und Google. Das sind die Menschen, die diese Netzwerke betreiben. Also wenn man sich die Umsätze anschaut, sehen wir, dass eine große Anzahl nicht an diese Verlagshäuser gehen, sondern an die Werbetreiber gehen, an diese Internetgiganten. Und das sind eigentlich genau diejenigen, die den Journalismus ausverkaufen und gefährden.
Also strukturell gibt es eine Bedrohung für die Ethik des Journalismus, denn das System ist einfach angreifbar. Gegebenenfalls ist das nicht so ein Problem in Deutschland, gegebenenfalls gibt es da größere öffentliche Unterstützung. Aber darüber hinaus gibt es eine deutlich gravierendere Bedrohung, nämlich man kann ja in Anführungsstrichen Journalismus haben, aber was wir brauchen ist nicht nur eine Zeitung, nicht nur Geschichten, sondern wirklich bedeutsame Informationen. Wenn der Journalismus nur Geschichten produziert, die die Menschen sich wünschen, statt Informationen zu veröffentlichen, die die Menschen wirklich brauchen, dann haben wir eine der größten Säulen einer offenen Gesellschaft verloren. Und das ist eine der unabdingbaren Strukturen, um eine gesunde Demokratie aufrechtzuerhalten, denn eine nicht-informierte Öffentlichkeit kann nicht informiert wählen.
Das ist das, was ich zentral gesehen habe. Die Struktur des Internets, die Aktivitäten der Geheimdienste, ob wir von Überwachung durch die Regierung oder Überwachungs-Kapitalismus sprechen: Was wir gesehen haben, wie gesagt, ob es um Überwachung durch die Regierung oder durch den Kapitalismus ist, einfach immer mehr Aggression. Sie möchten die Quellen des investigativen Journalismus ausstampfen. Denn Regierungen wissen, dass sie Zeitungen oder Verlagshäuser nicht anklagen können. Das ist etwas, was viele Menschen in den USA glauben.
Aber das wird jetzt infrage gestellt im Fall von Julian Assange. Und der ist ein Verlagshaus, ein Verleger. Der hat sehr viel veröffentlicht. Und jetzt versucht die US-Regierung, ihn einzusperren. Aber wenn wir darüberhinaus schauen, investigativer Journalismus basiert auf der Garantie der Kommunikation zwischen Journalisten und den Quellen. Wenn man als Journalist jemanden in der Regierung oder von einem Konzern, wenn man sie nicht überzeugen kann, dass man sie schützen kann, dass sie nicht ins Gefängnis geworfen werden, dass sie nicht im Exil leben müssen bis zu ihrem Lebensende, dann werden immer weniger Menschen dieses Risiko eingehen. Und dann wird man sehen, dass es immer weniger Whistleblower geben wird, gerade dann, wenn man sie braucht. Die Regierungen sehen so viel, was wir machen.
Konzerne sehen so viel, was wir machen. Selbst wenn Microsoft ein Leck hat, können sie intern ermitteln. Sie können schauen, wer intern auf ein gewisses Dokument Zugang hatte und wer dann dafür zuständig ist, dass es veröffentlicht wurde. Waren sie auf der Seite dieser Zeitung? Sie können diese Ermittlungen betreiben und dadurch können sie Verdächtige ausfindig machen und sie oft auch verurteilen. Und deshalb sehe ich leider, dass der investigative Journalismus wirklich gefährdet ist. Und wenn wir da nichts gegen unternehmen, dann werden wir nur Unterhaltungsmedien haben. Manchmal wenn man eine freie Gesellschaft aufrechterhalten möchte, dann muss man unangenehme Sachen wissen.
Deutschlandfunk: Sie sind Präsident der Stiftung für Pressefreiheit. Was schlagen Sie vor? Was könnten wir machen, was kann jeder machen?
Snowden: Viel der Arbeit der letzten Jahre ging um die Entwicklung technischer Systeme, dass wir die Anonymität der Quellen garantieren können, Secure Drop heißt das System. Und alle großen Zeitungen, "New York Times", "Washington Post", einige in Deutschland auch, die Journalisten und die Quellen können sich verbinden mit diesem anonymen System. Das ist ein bisschen wie der Dark Net, das Tor-Netzwerk. Und da gibt es überhaupt keine Spuren, dass sie da waren, wenn Sie das richtig machen. Da können Sie Dokumente an dieses Haus einreichen, ohne dass das Haus Ihre Identität wissen muss. Und Sie können nach und nach Kommunikation hin- und herschicken, die Journalisten können dann sagen, ob sie die Dokumente authentifizieren konnten, und so sind die Quellen weniger einfach aufzufinden. Das Problem ist aber, dass diese technischen Methoden dazu führen, dass immer mehr Last auf die Journalisten und auf die Whistleblower übertragen wird.
Wir möchten keinen Krieg zwischen Regierungen und Konzernen auf der einen Seite und Medienhäusern auf der anderen Seite sehen, denn wir werden immer verlieren. Wir werden vielleicht genügend gewinnen, um frei zu bleiben. Aber wir möchten nicht nur überleben, wir möchten erfolgreich weiterleben. Und deshalb ist die langfristige Arbeit der Stiftung für Pressefreiheit, zu zeigen, dass wir uns darum kümmern, dass es uns nicht egal ist. Und damit die Öffentlichkeit sich auch darum sorgt und sich auch darum kümmert, müssen sie verstehen. Sie müssten dann verstehen, wie die Welt aussehen würde ohne Menschen wir Julian Assange. Der hat viele gültige Punkte. Sie müssen den Mann nicht mögen, aber wenn es Verlagshäuser gibt, wenn es Verleger gibt, die Informationen veröffentlichen, wo alle Zeitungen sagen: Ja, das ist im öffentlichen Presse, "Washington Post", "New York Times" haben darüber berichtet, wenn wir danach dann sagen: Okay, vielen Dank, aber jetzt ab ins Gefängnis, dann müssen wir uns einfach überlegen, was die Folgen wären, nicht nur was Julian Assange angeht, aber für alle anderen Medienunternehmen, Medienhäuser auf der ganzen Welt. Ich glaube nicht, dass die Regierungen dieser Welt diese Rolle haben sollten, das sie bestimmen sollten, was veröffentlicht werden sollte oder nicht. Ich finde, dass die Presse die Monopolstellung der Regierungen am besten kontrollieren können, deshalb ist ein Recht auf Veröffentlichungen, Recht auf freie Rede sehr wichtig. Es wird immer Menschen geben, die das missbrauchen, um Menschen zu verletzen. Aber das können wir ja auch schlichten. Das können wir auch lösen. Wir können sie an die Gesetze halten. Aber wir sollten das nicht so machen, indem wir genau die Freiheiten zerstören, die diese Gesetze eigentlich schützen sollten.
Deutschlandfunk: Meinen Sie, dass das klargeworden ist auch durch Ihre Enthüllungen im Jahre 2013, dass es nicht nur um Einzelpersonen geht, dass nicht nur Einzelpersonen abgehört werden, sondern auch Strukturen, wie Sie sagen, dass es Menschen gibt, die sich um ihre Freiheit Sorgen machen müssen?
Snowden: Eine der wichtigsten Sachen ist es, dass wir die Hoffnung nicht verlieren. Wenn ich mir die Welt anschaue, wir sehen immer mehr autoritäre Regierungen und Tendenzen, zum Beispiel in Deutschland mit der AfD, das ist alarmierend, wie viel Unterstützung diese Partei genießt. Da muss man sich aber fragen: Warum?
Und ich denke, die Antwort darauf ist ähnlich wie damals direkt nach 9/11 in den USA. Es geht darum, dass wir Angst haben. Wenn die Menschen Angst haben, wenn die Menschen denken, dass ihre politischen Gegner, egal, auf welcher Seite, sie zerstören und vernichten möchten, wenn sie Angst haben, dass sie ihren Lebensstil verlieren werden, dass sie die Freiheit verlieren werden, so zu leben, wie sie möchten, dann wird die Anwendung von Macht sehr, sehr attraktiv, auch für die Regierungen. Und wir haben das oft gesehen, wie verschiedene Fraktionen dann an die Macht kommen. Sie wenden die volle Macht der Regierung an gegen ihren Gegner, ob im Ausland oder im Inland.
Ich glaube dass wir existenziell gefährdet sind jetzt. Das heißt, nicht, dass Deutschland kollabieren wird oder dass die USA kollabieren werden auf der Weltkarte, aber dass die Gesellschaft, das, wofür die Gesellschaft einmal gestanden hat, weggebrochen ist. Der Name, die Flagge sind vielleicht noch die gleichen, aber die Werte sind ersetzt worden durch etwas viel, viel Finstereres.
Wir werden immer Krisen haben. Wir werden immer Konflikte erleben. Das war aber immer so. Was wir aber erkennen müssen, dass wir im Moment besser werden. Wir leben in einer immer sichereren Welt, selbst mit der Bedrohung durch den Terrorismus, mit den internationalen Konflikten von heutzutage. Das ist überhaupt kein Vergleich mit der Vergangenheit. Wir machen Fortschritt. Und solange wir uns immer wieder bewusst machen, dass wir Menschen überreden müssen, dass wir nicht hetzen dürfen, dass die Lösung für Propaganda und Hetze und Hassrede ist, dass wir einfach mehr miteinander kommunizieren, dann werden wir weiteren Fortschritt machen. Und das ist absolut wichtig.
Hetze und Hassrede, das dürfen wir nicht zulassen. Ich verstehe, dass das eine Dynamik ist, die etwas ausgeprägter ist in Deutschland, es gibt Argumente, die ich da verstehe. Aber wenn wir von den extremsten Stellungen sprechen, von den gefährlichsten Stellungen und Positionen und Meinungen sprechen, dann sprechen wir von denjenigen, die am einfachsten sind, anzubauen. Und diese extremste der extremen Hassrede kann eigentlich nur überleben, wenn die Gesellschaften abgeschottet sind, wenn sie geschützt sind, wenn sie keine Opposition haben, wenn sie keinen Widerstand haben, wenn sie nicht auf der Bühne stehen müssen und Fragen beantworten müssen.
Und wenn wir ihnen das Wort nehmen möchten, ihnen das Wort verbieten möchten, dann führt das eigentlich dazu, dass sie in eine dunkle Ecke abdriften. Sie sind nicht mehr willkommen in der normalen Gesellschaft. Das heißt, dass man Schattenbereiche im Land hat, wo diese Ideen geschützt werden, wo sie gegenseitig gefördert werden, wo sie dann irgendwann wie Viren werden, und dann werden sie wirklich gefährlich und gewalttätig. Das sind für mich die strukturellen Bedrohungen heutzutage.
Deutschlandfunk: Es ist absurd, das jemand wie Sie, der für die Freiheit kämpft, alles aufgegeben hat, möglicherweise auch Ihre Frau. Sie können keine freien Entscheidungen treffen, Sie können nicht frei reisen. Ihre Aufenthaltserlaubnis in Russland wird im Frühling 2020 ablaufen. Welche Hoffnungen haben Sie für Ihre Zukunft, Ihre persönliche Zukunft?
Snowden: Das ist ja interessant, wenn man sein eigenes Leben in Brand setzt sozusagen, dass man sich keine Sorgen um Morgen machen muss, denn man kann nur für den Tag leben. Morgen ist nie für mich garantiert. Ich werde davor keine Angst haben. Angst hat uns dahin gebracht, wo wir uns befinden. Es ist die Reaktion auf die Angst, all diese Reaktionen. Wenn wir uns lahmlegen lassen oder wenn wir uns eine Bunker-Mentalität anlegen, die unsere Rede, unseren Dialog stilllegt, die uns lahmlegt und uns daran verhindert, etwas zu unternehmen, das ist gefährlich.
Ich glaube, ich werde immer noch in einem Land gefangen bleiben, wo ich eigentlich nicht sein wollte, wo ich aber seit einigen Jahren bin, obwohl ich sehr oft um Erlaubnis gebeten habe, in Europa wieder einzureisen. Aber das ist die Frage, die ich mir stelle: Welches Beispiel kann ich mit meiner Geschichte setzen für die Zukunft, für den nächsten Whistleblower? Wenn der nächste Whistleblower denkt, dass der einzige Ort, wo man gehört werden kann, außerhalb von Europa, außerhalb der USA ist, statt innerhalb, ich glaube nicht, dass das für immer bleiben wird.
Ich glaube, der Grund, weshalb es einen so starken Widerstand gegen die Enthüllungen 2013 gab, war, weil die Menschen, die an der Macht waren, selbst schuldig waren. Sie waren dafür verantwortlich, dass gegen diese Rechte verstoßen wurde. Und während sie an der Macht waren, konnten sie es nicht riskieren, dass diese Strukturen angegriffen wurden, denn sie hätten nicht überleben können. Sie hätten das niemals machen können, ohne ihre eigenen Leben aufs Spiel zu setzen. Ich bin Gottseidank deutlich jünger, die meisten, die an der Macht sind, sind etwas älter. Sie werden abtreten, abdanken und in Rente gehen.
Ich habe erst gestern eine Nachricht im Internet gelesen von einer sehr jungen Person, das ist vielleicht etwas krass ausgedrückt, aber wenn man sich überlegt, dass die USA von Terrorismus geprägt ist, Terrorismus, Terrorismus, Terrorismus, egal, welches Gesetz, wenn man sagt, es hat etwas mit Terrorismus zu tun, wird dieses Gesetz verabschiedet. Aber ich habe diese Nachricht im Internet gesehen und da hat diese Person geschrieben: Ich wusste nichts von 9/11, bis ich zwölf Jahre alt war. Ich dachte, es ging um Sex. Ich dachte es war wie Sixty-Nine. Meine Eltern wollten mir nichts darüber erzählen. Ich glaube, dass wir eine Generation haben, die jetzt groß wird, die sich nicht an diese Angst erinnern wird, die uns gelähmt hat. Wir haben gelitten. Wir waren Opfer eines horrenden Verbrechens. Was wir in dem Moment vergessen haben, war, dass es ein Verbrechen war. Al Kaida, Taliban, die Terroristen auf der ganzen Welt, das sind keine Staaten, das sind keine Nationen, egal, wie gut organisiert sie sind. Sie können unsere Werte, unsere Gesellschaften nicht zerstören, nur wir können das machen. Sie sind kriminell, sie sind Verbrecher. Wenn wir sie so behandelt hätten und wenn wir sie weiterhin so behandeln würden und nicht auf Augenhöhe, werden wir überleben. Wir werden erfolgreich weiterleben können und sie werden vergessen werden.
Deutschlandfunk: Unter welchen Umständen würden Sie in die USA reisen, um sich selbst vor Gericht zu vereidigen. Sie wirken etwas vertraulicher und hoffnungsvoller jetzt, denn manche Sachen werden nicht mehr angeklagt.
Snowden: Wenn Sie zurückdenken, was 2013 passiert ist, Sie haben gesehen, dass es Enthüllungen gab und es wurde aufgedeckt, dass sie gegen die Gesetze verstoßen haben, und sie haben gesagt, dass das ein schwerwiegendes Verbrechen ist und ich wurde angeklagt in drei Anklagepunkten. Und das Interessante an diesem Gesetz war, dass es allen Angeklagten verboten wird, zu erklären, weshalb sie das gemacht haben, was sie gemacht haben, und dass die Jury dann auf Basis dessen zu entscheiden, ob das berechtigt war oder nicht. Das ist unter dem Espionage Act verboten.
Und das ist eigentlich komisch, dass unter Barack Obama dieses Gesetz öfter gegen Journalisten angewendet wurde als gegen ausländische Geheimdienste, und das mehr unter Barack Obama als unter allen anderen Präsidenten.
Ich denke, wenn der aktuelle Präsident wiedergewählt wird, dann wird er versuchen, diesen Rekord zu brechen. Dennoch glaubt die Regierung weiterhin, dass jedes Dokument, das vertraulich war, wovon die Öffentlichkeit Kenntnis bekommt, dass das ein Verbrechen ist. Und das führt zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren pro Dokument. Das würde für mich heißen, dass ich den Rest meines Lebens und für die Lebenszeit all unserer Kinder im Gefängnis bleiben müsste.
Und ich habe gesagt, ich würde zurück in die USA reisen, wenn die Regierung mir das zulassen würde, zu erklären, weshalb ich das gemacht habe, und dass die Jury dann auf Basis dieser Erklärung ein Urteil fällen kann. Aber der Generalstaatsanwalt der USA hat gesagt: Nein, das werden wir nicht machen. Wir haben ein Gegenangebot. Wir werden schriftlich versprechen, dass wir Sie nicht foltern werden. Das ist das Angebot gewesen. Aber das interessiert mich dann natürlich nicht. Und das ist interessant, das ist derselbe Generalstaatsanwalt, der mich angeklagt hat 2015, als er in Rente gegangen ist, hat er selbst gesagt, dass er meine Taten als öffentliche Dienstleistung betrachtet.
Deutschlandfunk: Bezüglich ihrer Zukunft und der Zukunft Ihrer Frau, welche Wünsche haben Sie, was Deutschland angeht? Haben Sie vielleicht eine Botschaft an die deutsche Regierung?
Snowden: Ich glaube, hier möchte jeder von mir hören, dass ich sage: Ja, lassen Sie mich rein. Lassen Sie mich rein. Aber ich habe ganz klar vom ersten Tag an gesagt, seit ich Hongkong verlassen habe, während ich 40 Tage lang am Flughafen steckengeblieben bin, habe ich bei 27 Ländern um Erlaubnis gebeten. Und ich habe immer gesagt: Ja, ich möchte in Europa leben können, in Europa einreisen können. Und einer der Angriffe, der immer gegen mich ausgeübt wird von den USA, ist, dass ich jetzt in Russland bin und dass es einen sehr schlimmen Ruf hat, was die Menschenrechte angeht. Aber was sie nicht sagen, ist, dass sie dafür verantwortlich sind, dass sie dafür zuständig sind, dass ich in Russland steckengeblieben bin. Was ich den Europäern sagen würde, ist, dass es nicht um meine Zukunft geht. Das ist nicht mehr wichtig. Was wichtig ist, ist, was mit dem nächsten Whistleblower passiert. Wenn sie glauben, dass sie nicht mehr frei sein werden, dass sie im Exil bleiben werden für den Rest ihre Lebens, in einem Land, das sie sich nicht aussuchen konnten. Es geht nicht um mich. Es geht um die Botschaft, die wir in die Zukunft schicken möchten.
Deutschlandfunk: Es gibt bereits Reaktionen auf Interviews aus den letzten Tagen von Ihnen, Unterstützung aus Deutschland von der SPD, von der LINKE und auch von den Grünen. Aber von der CDU gab es auch Stimmen, die gesagt haben, dass Sie ein ordnungsgemäßes Verfahren bekommen würden und so weiter und so fort.
Snowden: Haben Sie verstanden, was sie verlangt haben, was sie erwartet haben? Ich denke, das ist eine relativ typische Position der CDU. Sie sind am meisten dafür berühmt, dass sie überhaupt keine Stellung nehmen. Ich finde das etwas traurig. Und als die Journalisten diese Fragen an die CDUMitglieder gestellt haben, sie hätten eigentlich da noch fragen müssen, noch sagen müssen: Sie verstehen aber schon, dass er kein ordnungsgemäßes Verfahren gehabt hätte, dass die Jury da keine informierte Entscheidung hätte treffen können? Ich werde nicht nach den aktuell gültigen Gesetzen in den USA angeklagt, denn das erfordert ein ordnungsgemäßes Verfahren. Es ist Verfolgung. Das EU-Parlament hat Verordnungen verabschiedet, wo sie sagen, dass Whistleblower geschützt werden sollen, und ich werde auch namentlich genannt. Also warum sehen wir es nur von manchen Seiten, von manchen Parteien, die wirklich alles dafür geben, ihre Loyalität gegenüber einem Präsidenten zu zeigen, der sie als Feind betrachtet.
Deutschlandfunk: Deutschland ist eine ihrer Optionen. Sie wissen aber, dass es immer noch Kein Taco Bell in Deutschland gibt, oder?
Snowden: Ja, wie gesagt, wir kommen aus dunklen Zeiten der Geschichte, der Vergangenheit, und ich denke, dass Deutschland irgendwann auch den Fortschritt machen wird, dass es Taco Bell auch geben wird.
Deutschlandfunk: Wir haben nicht darüber gesprochen, ob Sie ein russischer Agent sind. Können wir das einfach beiseite lassen?
Snowden: Ja, das können wir. Sie können die Frage stellen, wenn Sie möchten, aber ich glaube, die Antwort ist sehr wohlbekannt.
Deutschlandfunk: Vielen, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, unsere Fragen zu beantworten. Das war uns sehr wichtig. Vielen Dank. Vielen Dank. Passen Sie auf sich auf.
Snowden: Nur ganz kurz, bevor wir unterbrechen. Ich habe diese Audiodatei, die ich gerne Ihrem Techniker schicken möchte. Sie brauchen nicht da bleiben am Schreibtisch, wenn ich mit Ihrem Techniker sprechen kann.
Deutschlandfunk: Er kommt jetzt gleich her. War das das letzte Interview für heute? Haben Sie jetzt einen freien Nachmittag?
Snowden: Nein, ich habe noch ein Interview in Deutschland. Ich…
Deutschlandfunk: Vielen Dank.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Anmerkung der Redaktion: Es gehört zum Wesen einer Simultan-Übersetzung, dass manche Aspekte etwas zusammengefasst wiedergegeben werden. Text-Skript, Audio-Fassung und Social-Media-Umsetzungen können daher in ihren Formulierungen voneinander abweichen.