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Ex-Justizminister warnt vor "Billigknast"

Angesichts der geplanten Reform des Strafvollzugs befürchtet der Kriminologe und ehemalige niedersächsische Justizminister Christian Pfeiffer einen Wettbewerb der Länder "nach unten". Es gehe nur noch um die Frage, "wer schafft es mit am wenigsten Geld, den Strafvollzug zu realisieren". Darunter werde die Sicherheit des Strafvollzugs leiden.

Moderation: Klaus Remme | 17.05.2006
    Klaus Remme: Am Telefon hat Christian Pfeiffer mitgehört. Er leitet das kriminologische Institut in Niedersachsen und war einst dort Justizminister. Frau Merk fehlen die Argumente der Kritiker, Herr Pfeiffer. Liefern Sie uns welche!

    Christian Pfeiffer: Nun ja, sie hat ihre Worte klug gedrechselt. Man könnte fast den Eindruck gewinnen, es gibt keine Probleme, und dabei ist das Wichtigste verschwiegen worden. Die Länder haben zurzeit wirklich ein Problem, weil trotz sinkender Kernkriminalität – Mord und Totschlag Minus 40 Prozent, Wohnungseinbrüche um die Hälfte zurückgegangen und so weiter; das ließe sich fortsetzen – 40 Prozent mehr Gefangene da sind, weil in den letzten Jahren die Strafbedürfnisse in der Allgemeinheit, aufgeschreckt durch immer dramatischere Medienereignisse, immer weiter nach oben gegangen sind. Die Politik hat den Gefallen getan und an 40 Stellen das Strafrecht verschärft mit dem Ergebnis 40 Prozent mehr Gefangene und jetzt muss gespart werden. Darum geht es. Die Länder wollen Spielräume haben, um beispielsweise zwei Gefangene in eine Zelle zu legen, was sie bei neu gebauten Anstalten derzeit nicht dürfen. Das Gesetz auf Bundesebene verbietet das. Es geht um einen Wettbewerb nach unten. Wer schafft es mit am wenigsten Geld, den Strafvollzug zu realisieren.

    Remme: Herr Pfeiffer, reicht denn das Grundgesetz als Garant für einen Mindeststandard im Strafvollzug nicht aus?

    Pfeiffer: Na, die Länder werden da schon ihre Spielräume ausloten im Wechselspiel mit Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen. Wir sehen das im Ausland, wo solche Regelungen wie bei uns und vor allem eine solche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wie bei uns nicht existiert, in den USA beispielsweise, wo dann der Strafvollzug tatsächlich zu einem Billigknast verkommen ist und von Resozialisierungsbemühungen hinter Gittern kaum die Rede sein kann. Das haben wir als Sorge formuliert und die Anstaltsleiter wissen warum und wir Wissenschaftler wissen es auch, warum wir glauben, dass es einen Wettbewerb nach unten gibt. Und es gibt ja eine zweite Gefahr. Wenn da etwas auf Länderebene passiert, wenn jemand im Urlaub aus der Haft eine schlimme Tat begeht, dann ist der Minister unter massivem Druck, hier gesetzgeberisch zu reagieren. Da muss er "populistisch" werden. Da habe ich es als Minister als sehr wohltuend empfunden, dass ich nicht dieses Gesetz ganz schnell mal so aufgrund von Stimmungen und Wünschen des Ministerpräsidenten oder anderer, die Sorgen um die Wählerstimmen haben, über den Landtag ändern kann, sondern dass dies ein sehr zähes, über den Bundesrat laufendes Verfahren ist.

    Remme: Herr Pfeiffer, es ist ja lange her, dass die Resozialisierung als vorrangiges Ziel festgeschrieben wurde, fast 30 Jahre. Ich vermute, man würde bei Umfragen auf der Straße heute schnell eine Mehrheit dafür finden, diese Hierarchie der Ziele zu verändern und dem Schutz der Bevölkerung eine größere Rolle zukommen zu lassen. Muss man diesem Bedürfnis nicht Rechnung tragen?

    Pfeiffer: Dem wird doch praktisch dadurch Rechnung getragen, dass wir beispielsweise nicht den offenen Vollzug, wie es im Gesetz heißt, zu dem Regelvollzug erklärt haben, wo die Mehrheit der Gefangenen ist, sondern die Mehrheit sitzt wohlbehütet hinter Gittern und das ist auch durchaus richtig so. Das Gesetz hat ja Spielraum gelassen, diesem Sicherheitsgedanken ausreichend Rechnung zu tragen. Wir haben überhaupt kein Defizit an sicheren Gefängnissen und das würde auch so bleiben. Ich gebe gerne zu, dass es nach 30 Jahren Geltung dieses Gesetzes Anlass geben könnte, es zu reformieren. Da sollen sich die Länder zusammensetzen und gemeinsam mit dem Bund nach Lösungen suchen, wenn sie Änderungswünsche haben. Sie haben ja jetzt durch die große Koalition wirklich alle Chancen, im Bundesrat alles durchzukriegen was sie für richtig halten. Aber ich sehe die große Gefahr, dass das Gegenteil läuft und dass die Länder einen Wettbewerb nach unten machen und dass dann auf Länderebene einzelne Minister, wie das Herr Kusch schon wollte, den Urlaub aus der Haft abschaffen, nur weil es dann gerade mal den Stimmungen entspricht, und damit wirklich die Sicherheit gefährden würden. Mir geht es auch um Sicherheit, genauso wie Frau Merk. Nur sage ich, das Gesetz hat sich bewährt. Es gibt keinen Grund, die Rechtseinheit von Strafrecht, Strafprozessrecht und Strafvollzugsrecht zu gefährden. Das haben wir aus guten Gründen auf Bundesebene und wenn jetzt daran die Axt angelegt wird und wir plötzlich eine Vielfalt von kleinen Länderregelungen bekommen, ist das absurd, wenn wir da so eine Vielstaaterei im Strafvollzugsrecht haben. In der praktischen Wirklichkeit haben wir es in Grenzen schon. Das würde sich noch vertiefen.

    Remme: Herr Pfeiffer, es geht ja bei der Föderalismusreform um eine Entflechtung von Kompetenzen. Es gilt Bundesrecht, aber die Länder bezahlen und organisieren. Wie kann man diese Verflechtung denn anders aufheben?

    Pfeiffer: Indem die Länder mit dem Bund sich zusammensetzen und nach gemeinsamen Lösungen suchen. Das von Frau Merk erwähnte Polizeirecht ist doch auch nicht unterschiedlich von Land zu Land, sondern sie haben sich weitgehend auf eine Rahmengesetzgebung geeinigt. Der Bund hat dort nur leider nichts mehr mitzureden. Das ist nicht ganz so tragisch, aber beim Strafrecht wäre es wirklich ärgerlich. Von daher hoffe ich inständig, dass der Bundestag da noch mal stoppt und die bewährten Regelungen auf Bundesebene lässt.

    Remme: Der Leiter des kriminologischen Forschungsinstituts in Niedersachsen Christian Pfeiffer. Herr Pfeiffer, vielen Dank!

    Pfeiffer: Danke Ihnen!