Dienstag, 30. April 2024

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Lyrikband von Joachim Sartorius
Reale Orte in mythischem Glanz

"Für nichts und wieder alles" lautet der Titel von Joachim Sartorius' Gedichtband, der quasi zu seinem 70. Geburtstag erscheint. Ja, es gibt darin auch Liebesgedichte. Aber nicht – wie in seinen früheren Bänden – den Frauen gewidmet, sondern vor allem der Schönheit und Vergänglichkeit der Natur. Nicht zuletzt huldigt Sartorius in dem Werk auch dem Reisen.

Von Hajo Steinert | 22.02.2016
    Der Lyriker, Übersetzer und ehemalige Intendant der Berliner Festspiele Joachim Sartorius
    Intellektualität und poetisches Feingespür stehen sich bei Joachim Sartorius nicht im Wege. Es sind Gedichte, die aktuell sind, Reflexe auf eine Welt, die explodiert. (imago / David Heerde)
    Ein Wort zur Liebe. Was heißt ein Wort, Vorträge könnten wir heute Nachmittag hier noch halten, wenn wir die Zeit dazu hätten. Wir beschränken uns. Mit einem Veranstaltungshinweis, gekoppelt an einen neuen Lyrikband von Joachim Sartorius. Joachim Sartorius, ein homme de lettres wie wenige sonst in unserem Land: Jurist, Diplomat, lange Zeit Leiter des Berliner Künstlerprogramms des Deutschen Akademischen Austauschdienstes, Generalsekretär des Goethe-Instituts in München, von 2001 bis 2010 Intendant der Berliner Festspiele, Übersetzer u.a. von John Ashbery und Wallace Stevens. Weltgewandter Veranstalter von Lyrikfestivals der leisen Art. Was uns heute am meisten interessiert: ein Lyriker von Format.
    Das "Literaturfestival Eventi Letterari Monte Veritá" in Ascona geht auf seine Verdienste zurück. Zum vierten Mal findet es vom 14. Bis 17. April statt. Unter dem Themenschwerpunk: "Utopie und Liebe". Neben Tänzern und Sängern treten u.a. auf: Iwan McEwan, der große englische Autor, Lukas Bärfuss, Peter von Matt, Sibylle Berg und viele andere, die für eine Literatur der Liebenden, Treulosen, Enttäuschten stehen. Tristan und Isolde. Romeo und Julia, sie alle feiern Widerauferstehung an einem Ort, wo einst, am Anfang des 20. Jahrhunderts, eine künstlerische Bohème wirkte, die in die Geschichte einging.
    Die hellen Momente in dunklen Gegenden
    Der Monte Verità steht für Wildheit, Freizügigkeit, Ausdruckstanz, Naturschwärmerei und Zügellosigkeit, vor allem in Liebesdingen. Hermann Hesse drückte sich dort gelegentlich herum. Auch der Anarchist Erich Mühsam. Joachim Sartorius, einer der Organisatoren des Festivals heute, hat sich - Gentleman, der er ist - nicht mit ins Programm genommen. Obwohl er einen neuen Lyrikband vorlegt. Uns und sich selbst macht er ein Geschenk zu seinem eigenen 70. Geburtstag im März. Soeben erschienen:" Für nichts und wieder alles", bei Kiepenheuer &Witsch. Klar, es gibt darin auch Liebesgedichte. Aber nicht – wie in seinen früheren Bänden – den Frauen gewidmet, sondern vor allem der Schönheit und Vergänglichkeit der Natur. Und dann das Reisen. Gedichte aus Orten, in denen Orient und Okzident zusammenkommen.
    Reale Städte wie Alexandria, Nikosia, Syrakus und Istanbul tauchen auf, aufscheinend in mythischem Glanz, aus ihrer Gegenwärtigkeit gezogen und zum Leuchten gebracht durch Beschwörung. Das östliche Mittelmeer schwappt in des Lesers Hirn. Aber auch Brandenburg ... allein der Klang dieses Worts! Es sind Gedichte von unterwegs, Nachrichten gleichsam aus Welten, die wir nur aus den Medien kennen. Selbst in den dunkelsten Gegenden sucht Joachim Sartorius noch die hellen Momente, den Himmel, das Licht. Die Form seiner Gedichte ist variabel. Sie ist streng, wenn der Inhalt danach ruft. Locker gefügt, wenn der Luftikus im Dichter durchbricht.
    Intellektualität und poetisches Feingespür stehen sich bei Joachim Sartorius nicht im Wege. Es sind Gedichte, die aktuell sind, Reflexe auf eine Welt, die explodiert. Eines meiner Lieblingsgedichte von Joachim Sartorius aus seinem neuen Band: "Für nichts und wieder alles" ist Aleppo gewidmet: "Eingekerkert in milchigem Arak,/verflüssigt sich die Zeit./ Fallen deine Blüten, Welt, von diesem Mandelbaum?", hebt es an. Doch später der scharfe Schnitt: "Der Kopf in die Welt Wolken gesprengt,/der Körper tausend Blütenfetzen,/nicht mehr zusammenzusetzen, schwarz."
    Joachim Sartorius: "Für nichts und wieder alles. Gedichte."
    Kiepenheuer & Witsch, 96 Seiten, 15 Euro