Kinderbuch

Vogeljagd mit Hindernissen

"Pssst! Wir haben einen Vogel" von Chris Haughton
Buchcover: "Pssst! Wir haben einen Vogel" von Chris Haughton © Fischer/Sauerländer Verlag
Von Sylvia Schwab · 30.06.2015
Charmant und genial-einfach ist Chris Haughtons Bildergeschichte "Pssst! Wir haben einen Vogel". Sie lebt von der bärbeißigen Mimik und den slapstickhaften Unfällen der bösen Räuber, von seiner kreativen Gestaltung und der originellen Farbigkeit.
Der in London lebende Designer und Illustrator Chris Haughton hat schon viele Preise bekommen. Auch sein drittes Bilderbuch "Pssst! Wir haben einen Vogel" wurde wieder mit Kinderbuch- wie Designpreisen ausgezeichnet. Was beweist, dass diese Genres inzwischen eng zusammengehören − für ein gutes Bilderbuch ist gutes Design unverzichtbar geworden.
Wer hat hier einen Vogel? Keiner, wie sich am Schluss dieses genial-einfachen Bilderbuchs herausstellt. Denn Vögel sind frei, sie gehören niemandem. Tiere gehören nur sich selbst – das könnte die Botschaft dieses Bilderbuches sein.
Vier vermummte Gestalten – eine Mischung aus Räuber und Gartenzwerg – tapern hintereinander her durch den blau-schwarzen Wald: drei Große und ein Kleiner. Die Großen tragen Schmetterlingsnetze in der Hand und sind auf der Jagd. Als sie einen hübschen pinken Vogel entdecken, winkt der kleine Kerl ihm liebevoll zu, doch die Großen fahren ihn böse an: "Pssst! Wir haben einen Plan". Vorsichtig schleichen sie sich an, holen mit den Netzen aus, und "Los!" – doch der Vogel entwischt. Auch beim zweiten und dritten Versuch.
Und da kommt der Kleine zum Zug: Er lockt den Vogel erfolgreich mit Brotkrümeln an. Argwöhnisch von den großen Kerlen beobachtet, gesellen sich immer mehr Vögel dazu, so viele, dass es vor Vögeln nur so wimmelt. Gute Gelegenheit, denken die Großen. Doch die Vögel wehren sich mit lautem Geschrei, machen den Jägern Angst und verjagen sie. Nur damit auf der vorletzten Seite die Jagd wieder von vorne losgeht: Ein Eichhörnchen soll es diesmal sein.
Die Großen sind tolpatschig, der Kleine ist schlau
Chris Haughton hat eine große kleine Geschichte mit märchenhaften Grundmotiven entwickelt: Die drei große Räuber sind dumm und tollpatschig, der Kleine ist listig und schlau. Eindeutige Eigenschaften, mit denen schon ganz kleine Kinder etwas anfangen können. Außerdem kommt diese Vogelgeschichte mit ganz wenig Text aus, einzelne Wörter fast nur, die sich noch dazu staccatohaft wiederholt. Das ist nicht nur lustig, sondern die reduzierten Worte strukturieren auch optisch das Geschehen. Sie sind grafisch eingebunden in die Illustration und gliedern so die Seiten rhythmisch mit.
Auch die Farbigkeit dieses wunderbaren Bilderbuches ist ungewöhnlich: Blau − in sämtlichen Schattierungen − und Weiß beherrschen die Bildflächen. Alle Objekte, Bäume, Figuren oder Vögel, sind wie Scherenschnitte mit harten Konturen in die plane Umgebung eingefügt. Dabei sind die Vögel bunt: pink, rot, gelb und grün. Sie leuchten förmlich in der sonst dunklen Umgebung, sie sind die Antipoden zu den schwarzblau verhüllten Männern. Wie auch das Eichhörnchen am Ende des Buchs leuchtet – wieder pink und orangefarben. "Mich bekommt ihr auch nicht", scheint das zu symbolisieren.
Und so kommt dieses Buch mit geballtem Charme daher. Es lebt von der bärbeißigen Mimik und den slapstickhaften Unfällen der bösen Kerle, von seiner kreativen Gestaltung und der originellen Farbigkeit. Wie auch von der Spannung und von der beglückenden Erfahrung, dass die kleinen Flinken schlauer sind als die Großen mit ihren vermeintlich wohldurchdachten Plänen.

Chris Haughton: Pssst! Wir haben einen Vogel
Aus dem Englischen von Stephanie Menge
Fischer/Sauerländer Verlag, Frankfurt 2015
32 Seiten, 14,99 Euro
ab 4 Jahren

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